In der dieswöchigen Sidra wird menschliches Versagen beleuchtet, zu einer Zeit, da die Menschheit ihr ganzes Verhalten nicht auf G-ttesnähe aufbaute. Mit der Ausnahme von Noach und seiner Familie war die damalige Generation einer Lebensweise verfallen, die sich auf Gewalttätigkeit und Rebellion gegen G-ttes Wort aufbaute - und die Katastrophe der Flut folgte. In gewisser Hinsicht sind wir alle Überlebende der Flut, und gerade wenn die Sidra Noach verlesen wird, ist es an der Zeit, dass wir uns darauf konzentrieren, wie wir die Fehler von Noachs Zeitgenossen vermeiden können. Wir müssen sorgfältig in das Studium der Tora eindringen, damit wir so erkennen, in welchem Verhältnis sie zu unserer Welt und zu uns als Juden steht. Dann sind wir befähigt, die richtigen Schlüsse zu ziehen, aufgrund deren wir unsere täglichen Handlungen bestimmen. Zu diesem Thema seien im folgenden einige chassidische Gedanken gebracht:

Tora und Leben: Die heilige Tora ist nicht eine Sammlung von Gesetzen für besondere Gelegenheiten. Vielmehr wendet sie sich an die Totalität des Juden, von seinem ersten Augenblicke bis zu seinem letzten; sie befasst sich mit den kleinsten Einzelheiten des täglichen Lebens. Das ist die Bedeutung des Ausdruckes "Torat Chajim"; so ist die Tora als "Gesetz des Lebens" zu verstehen. Was aber ist die philosophische Grundlage dieser Idee?

Tora und Schöpfung: Die Tora schließt die Gesamtheit der Schöpfung in sich ein. Bevor ein Architekt ein Bauwerk errichtet, macht er sich Entwürfe und Pläne. Analog benutzte der Schöpfer die Tora als einen "Plan" für die gesamte Schöpfung - bis hinunter zur kleinsten Kleinigkeit der leblosen Mineralwelt.

Vom Chassidismus her betrachtet: Der Baal Schem Tow erläuterte eine der grundsätzlichen Thesen des Chassidismus mit seiner Erklärung des Verses (Psalm 119, 89): "Auf immer, o G-tt, steht Dein Wort gefestigt am Himmel". Dazu führte der Baal Schem Tow aus: Alles im Himmel oben und auf der Erde unten, in all seinen Einzelheiten, besteht nur aufgrund des "Wortes" G-ttes - das heißt, G-ttes Ausspruch während des Schöpfungsvorganges (Gen. 1, 6 und 14): "Es sei ein Firmament ... es seien Lichtträger" usw., und all die anderen G-ttlichen Kundgebungen bei der Schöpfung. Dieses "Wort" hat geschaffen, und es schafft weiter und belebt alle Dinge unaufhörlich, jeden Augenblick, ohne Unterbrechung (Tanja II, Kap. 1-3). Hieraus folgt eine weitere grundlegende These, nämlich diejenige von G-ttes "individueller, spezifischer Vorsehung".

G-tt und die Schöpfung: G-ttes Wissen um alle einzelnen Dinge und Seine Obhut über sie erstreckt sich somit auf alles und jedes in der Welt, vom Einzelmenschen - dem obersten der Geschöpfe - bis zum untersten, leblosen Ding. Der hebräische Ausdruck für diese spezifische Vorsehung ist Haschgacha Pratit; und die zwei Schlussfolgerungen, die man von der Haschgacha Pratit ziehen kann (und muss), sind diese:

Erstens obliegt es jedem Juden, G-tt in und - mit allen Einzelheiten und Phasen seines Lebens und seiner Umwelt zu dienen. Dieser Dienst an G-tt muss mit dem Studium der Tora und der Einhaltung der 613 G-ttlichen Vorschriften beginnen und sich bis hin zu den gewöhnlichsten und einfachsten Tätigkeiten des täglichen Lebens erstrecken, wie Essen, Trinken, Schlafen und dgl.

Zweitens nimmt niemand ein Ereignis wahr und niemand befindet sich an einem bestimmten Orte zu einer bestimmten Zeit, ohne dass dies einen besonderen Grund hat. Nichts geschieht "zufällig". Alles im Leben hat seinen Grund. Des Menschen Dienst an G-tt muss anfangen mit dem Studium der Quellen, aus denen der Jude all seine geistigen Werte entnimmt, so dass er die Mizwot vollkommen und in Lebenskraft erfüllt.

Nach dem Gesagten ist die philosophische Grundlage für die Idee, dass die Tora die "Totalität des Juden" enthält - alle Aspekte seines Lebens -, nunmehr klar erkennbar. Wer in seinem täglichen Leben dieser Lehre praktischen Ausdruck verleiht, verdient für sich die Beschreibung, welche die Tora dem Noach gab, nämlich (Gen. 6, 9): "Noach wandelte mit G-tt". Er vermeidet gleichzeitig dann den tragischen Irrtum, den Noachs Zeitgenossen begingen.

Zusammenfassende Übersicht:

Aus Noachs Lebensführung, im Gegensatz zu den Fehlern und Verfehlungen seiner Zeitgenossen, lassen sich grundlegende Thesen und Regeln für unser eigenes Verhalten ableiten. Der Chassidismus hat die philosophischen Gesichtspunkte hierzu näher erklärt.