Lieber Leser,
wie wir schon früher mehrfach bemerkt haben, sind die Namen der Wochenabschnitte nicht (sozusagen) einfach "Etikette", um sie damit voneinander zu unterscheiden; vielmehr bringen die Namen jedes Mal etwas Wesentliches über den Inhalt zum Ausdruck. So müssen wir feststellen, dass einige von ihnen nicht – wie mehrheitlich – nach dem ersten, einleitenden Wort genannt werden sondern nach einem etwas später vorkommenden, welches das Thema der Sidra wiedergibt.
Ein Beispiel ist die dieswöchige Sidra. Nach den einführenden Worten: "Und der Ewige sprach zu Moses ..." etc., ist dann das erste Wort "Ischa" ("eine Frau"). Dennoch wird die Sidra nicht mit "Ischa" bezeichnet, sondern mit dem Verb danach, "Tasria" ("die erzeugt"). Inwiefern ist darin nun der gesamte Inhalt der Sidra einbegriffen? Raschi zitiert dazu den Midrasch Rabba: "Raw Simla sagte: Ebenso wie beim Schöpfungsvorgang der Mensch erst nach den Tieren und Vögeln gebildet wurde, so werden auch hier die auf ihn bezogenen Gesetzesvorschriften nach den auf die Tiere und Vögel anzuwendenden vorgetragen." (Die letzteren waren ja im vorigen Wochenabschnitt enthalten.) Also ist das neue Thema jetzt, im Gegensatz zu den vorangehenden Kapiteln, das auf den Menschen bezogene Gesetz. Und so wäre doch tatsächlich das Wort "Ischa" ("eine Frau") ein sehr bezeichnendes für diese Sidra. Weshalb aber wird das Verb "Tasria" vorgezogen; ist darin die Idee des "Gesetzes für den Menschen" eher enthalten?
Die Antwort ist diese: R Schneur Salman, der "Alte Rebbe", hat dargelegt, dass in einer Hinsicht der Mensch niedriger als alle anderen Kreaturen ist: Nicht nur, dass er sündigt, während die Tiere nicht sündigen, sondern dass er sündigen kann, während sie es nicht einmal können. Potentiell wie real ist also die Sünde für den Menschen etwas Gegebenes, nicht aber für das Tier. Und so kommen auch die Vorschriften für die Tiere zuerst: Die Tierwelt zu heiligen (indem man das Reine vom Unreinen trennt), ist verhältnismäßig leicht. Für den Menschen dagegen – fähig, so viele Missetaten zu begehen – ist es viel schwerer, sich zu heiligen. So kommen denn die das menschliche Verhalten bestimmenden Gesetze zuletzt – nicht wegen des Menschen angeborener Überlegenheit über die Tierwelt, sondern wegen seiner Unzulänglichkeiten.
Schabbat Schalom