In seinem berühmten Werke "Tora Or" schreibt der "Alte Rebbe", R. Schneur Salman von Liadi, dass die Flut – von der in der dieswöchigen Sidra die Rede ist – nicht nur ein Akt der Strafe, sondern auch ein Werk von Reinigung war; die Flut reinigte die Welt, die vor dem beschmutzt gewesen war. Deshalb dauerte die Flut 40 Tage lang1, das ist eine Zahl, die dem Mindestvolumen für eine Mikwe (ein Tauchbad) entspricht, nämlich 40 Se’a2. So denn wird die Flut3 "Mey Noach" benannt, die Wasser des Noach, und in etymologischer Anlehnung an das Wort "Noach" ist die Flut (nach "Tora Or") "Neycha derucha" (die Beruhigung des Geistes).

Weiterhin wird a.a.O. im einzelnen ausgeführt, dass die gleiche Idee auch auf die Sorgen und Nöte, die mit der Erwerbung des Lebensunterhaltes verbunden sind, Anwendung finden kann. Diese werden symbolisch "Majim Rabbim" (viele Wasser) genannt: "Sie spülen die schlechten Attribute des Menschen hinweg und führen damit ebenfalls in einen Zustand von 'Neycha derucha'."

Dieser Zusammenhang zwischen Sorgen um den Lebensunterhalt, der Flut und der Mikwe lässt sich auf folgende Weise erkennen: Der eigentliche und tiefere Sinn und Zweck von Mikwe liegt in der Idee von Selbstvereinigung (Selbstbeherrschung), wie Maimonides schreibt4: "Man soll seine Seele dabei in die Wasser von reiner Erkenntnis tauchen." Eben deshalb muss die Mikwe ein Mindestmaß von 40 Se’a enthalten, weil diese Quantität5 ausreicht, um den ganzen menschlichen Körper zu bedecken. Hinzu kommt, dass die hebräischen Buchstaben des Wortes "T’wila" (Eintauchen) den Buchstaben des Wortes "haBittul" (die Annulierung) entsprechen. Das bedeutet dann, dass der Akt von Selbstverneinung, der Vorgang, mit dem man aus seinem eigenen "Ich" heraustritt, so den Menschen erhöht, dass er zu einem "Gefäß" für Heiligkeit wird.

Darin liegt in der Tat der beabsichtigte Zweck der Sorgen für den Lebensunterhalt, wie sie dem Menschen zustoßen. Wenn sie ihn auch, vorübergehend, beunruhigen und verwirren, sind sie dazu angetan, ihn so in sich selbst zu "zermalmen", dass er aus seinem "Ich" heraustritt und so zu einem "Gefäß" für Heiligkeit wird.

Der Endzweck liegt also nicht darin, ihn – G-tt behüte – zu strafen, sondern im Gegenteil, ihn zu "spülen", von allen unsauberen Zusätzen zu reinigen. Offensichtlich kann dies sehr schnell, sogar sofort erzielt werden, sobald man sich dieser inneren Bedeutung und Absicht bewusst ist; und so kann man in sich selbst dasjenige bewirken, das anderenfalls erst die äußeren Umstände und Entwicklungen zu erreichen trachten. Auf diese Weise erreicht man das wünschenswerte Ziel, und die "Neycha" (Befriedigung) ist damit gewonnen, sowohl in materieller wie in spiritueller Hinsicht.

Eine weitere Dimension der Verbindung zwischen den Wassern der Flut und den Wassern der Mikwe ist diese: Maimonides erklärt6, dass der Vorgang der Reinigung nicht seine Vollendung findet, solange man noch in der Mikwe ist, sondern erst, wenn man diese wieder verlässt. Das heißt: Wenn man aus der Mikwe herauskommt, dann sollte es ganz augenscheinlich sein, dass man in einer Mikwe gewesen ist. Dasselbe gilt für den Vers im heutigen Wochenabschnitt Noach7: "Komm in die Arche". Das hebräische Wort für "Arche" hier ist "Tewa", aber "Tewa" kann auch "Wort" bedeuten; und das heißt dann: "Komm hinein in die Worte (von Tora und Gebet)". Es ist nicht der Zustand von Selbstverneinung zu dem Zeitpunkt, da man in Tora und Gebet vertieft ist, der den Endzweck bildet, sondern das eigentliche Ziel ist, dass man auch nachher (wie nach dem Untertauchen in der Mikwe) in derselben Gemütsverfassung verbleibt, also hier in der Stimmung von Gebet und Tora-Studium.