Im Midrasch heißt es: Wenn jemand dir sagt, bei manchen Nichtjuden sei die Wissenschaft zu Hause, so darfst du das glauben; doch wenn man dir sagt, bei ihnen sei Tora zu Hause, so glaube es nicht. – Diese knappe Feststellung zeigt an, dass ein grundsätzlicher Unterschied besteht zwischen allgemeiner Wissenschaft und der jüdischen Religion (wobei zu beachten bleibt, dass letztere an sich natürlich auch eine tiefe Wissenschaft ist, obwohl sie zu einem großen Teil in das Gebiet des Unergründlichen hineinreicht).

Der hauptsächliche Unterschied ist, dass den allgemeinen Wissenschaften zwei Schwächen anhaften. Erstens basiert jede Wissenschaft auf einem Minimum von Postulaten, welche sie selbst jedoch nicht oder nicht ausreichend beweisen kann; und diese können daher – je nachdem – von Menschen angenommen, abgelehnt oder durch gegensätzliche Postulate ersetzt werden. Mit anderen Worten: Letzten Endes stützt sich die ganze Struktur der Wissenschaft auf unwissenschaftliche Grundsätze oder – besser ausgedrückt – auf wissenschaftlich nicht unterbaute Prämissen.

Zweitens gehorcht die Wissenschaft, im Wesentlichen, folgender Lehrmethode: Auf Ursache A muss Wirkung B folgen; und wenn Wirkung B vermieden werden soll, dann muss Ursache A erst beseitigt werden. Mit anderen Worten: Eine Wissenschaft kann nie als einen Imperativ von uns verlangen: Tue dies, oder vermeide jenes. Sie kann nur die Angabe machen, dass wir, um B zu erzielen, erst A ausführen müssen, und dass, wenn B nicht erwünscht ist, A zu vermeiden ist.

Dass die Wissenschaft diesen Beschränkungen unterliegen muss, leuchtet ein, wenn man bedenkt, dass sie doch das Produkt des menschlichen Intellekts ist; denn nachdem die menschlichen Fähigkeiten begrenzt sind, kann er an sich nichts Absolutes erdenken. Daraus erklärt sich Schwäche Nr. 1. Was Schwäche Nr. 2 betrifft, so kann die Wissenschaft – nachdem alle Menschen grundsätzlich gleichberechtigt sind – nicht a priori menschliches Verhalten diktieren. Was sie bestenfalls kann, ist, aufgrund experimentell gewonnener Erfahrung und bekannter Tatsachen vorauszusagen, dass eine gegebene Ursache wahrscheinlich eine bestimmte Kette von Wirkungen oder Reaktionen auslöst. In dieser Hinsicht genießen Wissenschaftler in der Tat einen gewissen Vorzug vor nicht mit den Wissenschaften vertrauten Menschen.

Aus diesen zwei Schwächen der Wissenschaften lässt sich die grundsätzliche Überlegenheit der Tora sofort klar erkennen. Schon das Wort "Tora" allein – das doch "Belehrung", "Unterweisung" bedeutet – zeigt dies an. Denn das letztliche Anliegen der Tora ist es nicht, das menschliche Wissen als solches weiter auszudehnen; sondern die Tora will ihn unterweisen, wie er sein Leben zum Besten seiner selbst und der ganzen Gemeinschaft führen soll. Dazu gehört automatisch, dass sie all das Wissen vermittelt, das für die Erreichung dieses Hochzieles notwendig ist.

Die Tora ist eben kein Produkt von Menschen, sondern sie wurde von G-tt am Sinai offenbart, eine Tatsache, die durch viele unleugbare Beweise bezeugt ist – Beweise, die sogar auf rein wissenschaftlicher Basis völlig akzeptiert zu werden verlangen; und nachdem sie so von G-tt, dem Absoluten, gegeben worden ist, sind ihre Grundlagen ebenfalls absolut und nicht Hypothesen oder bloße Vermutungen. Hinzu kommt, dass G1tt als Schöpfer der Welt und der Menschheit, nicht den Gesetzen von Ursache und Wirkung unterliegt; vielmehr stellt Er ein positives und – absolutes System des menschlichen Verhaltens auf, das aus genauesten Vorschriften des "Tuns“ und des "Nicht-Tuns" besteht.

Deshalb denn wird die Tora "Torat Emet" – Gesetz der Wahrheit – genannt; denn ihre Lehren sind absolut, ihre Grundlagen sind nicht Postulate (wie bei den Wissenschaften) sondern absolute Wahrheiten, und so müssen ihre Folgerungen gleichfalls absolute Wahrheiten sein.

Aus diesem Grunde ist die Verbreitung von Tora so lebenswichtig. Denn als endgültiges Fazit müssen wir feststellen, das das Wissen allein um seiner selbst willen, das ein Mensch erwerben mag, nicht so wichtig ist. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass der Mensch stets folgerichtig im Interesse seiner selbst und der gesamten menschlichen Gesellschaft handelt; anderenfalls tappt er nur im Dunkeln, durch widersprüchliche Ideologien und Theorien ringsumher verwirrt und auch dauernd durch widersprüchliche Gefühle und Instinkte in sich selbst aus dem Gleichgewicht gebracht. Das ist das Problem, und die Tora ist die Antwort darauf.

Das Schawuot-Fest muss uns das ganze Jahr hindurch Anlass sein, darüber nachzudenken, was die Verbreitung von Tora für die Juden im Besonderen und für die ganze Menschheit im Allgemeinen bedeutet.