Am Anfang der Sidra Wajischlach bemerkt Raschi zum Verse (Genesis 32, 5) "Bei Laben habe ich verweilt (hebr.: garti)" dies: "Bei dem sündhaften Laban habe ich verweilt und dennoch die 613 Mizwot beobachtet" (der Zahlenwert der Buchstaben des Wortes "garti" ist 613). Und eben dies war es, was Jakob dem Esau mitteilen ließ. Dazu musste man drei wesentliche Punkte zu verstehen suchen, und zwar: erstens, welche Verbindung zwischen Raschis Erklärung und dem einfachen Wortsinn besteht; zweitens, warum es notwendig war, dies dem Esau mitzuteilen; und drittens, welche Lehre wir selbst daraus entnehmen müssen.

Die Erklärung zum ersten Punkte ist diese: Bei Laben hatte er wie ein Fremdling verweilt. Das heißt, für Jakob waren alle Angelegenheiten Labans, sein Reichtum, sein Besitz, ganz unwichtig und belanglos; sie waren für ihn also etwas "Fremdes", er hatte zu ihnen keine persönliche Beziehung. Jakobs "Heim", seine Interessenssphäre, war allein das Ideelle – Dinge, die das Innenleben, die Seele, angehen: Tora und Mizwot. Alles andere war für ihn unwichtig.

Derselbe Gedanke wird später in unserer Sidra nochmals angedeutet, nämlich in dem Verse (Genesis 33, 17): "Er baute für sich ein Haus, und für sein Vieh machte er Hütten." Für sich selbst also, für seine Seele und alles, was sie betraf, schuf er etwas Beständiges: ein Haus – während er für seinen materiellen Besitz, sein Vieh, nur zeitweilige Vorkehrungen traf: Hütten.

Damit können wir den Zusammenhang zwischen unserem Vers und Raschis Kommentar verstehen: Eben weil er während seines Verweilens mit Laban alles Materielle als ihm "fremd" ansah, konnten materielle Gesichtspunkte seine Beschäftigung mit dem Ideellen nicht beeinflussen oder gar stören; und deshalb war er in der Lage, alle 613 Mizwot zu beobachten.

Und noch mehr: Weil ihm materielle Dinge gleichgültig blieben, waren sie für ihn nicht nur kein Hindernis, sondern sie selbst wurden vergeistigt, sie wurden zu Hilfsmitteln für spirituelle Zwecke – wie Jakob selbst sagt (Genesis 32, 6): "Dies waren für mich – (das ist: für meine geistigen Bedürfnisse) – Ochsen, Esel, Schafe, Diener und Mägde." In Bezug auf diesen Vers erklärt der Midrasch, dass sich hier "Chamor" (Esel) auf den Messias bezieht, der auf einem Esel reitend kommen wird.

Das Kommen des Messias hängt also davon ab, dass wir materielle Interessen vergeistigen, und zwar dadurch, dass wir G-tt wahrhaft dienen. Dieses einem Esau beizubringen, das war wichtig genug.

Für uns ist die Lehre diese: Obwohl die Welt ringsum im Augenblick noch nicht auf das Kommen des Messias vorbereitet zu sein scheint, müssen dennoch wir und unsere Familien uns darauf vorbereiten; wir müssen alle unsere Belange und Interessen auf die endgültige Erlösung einstellen und ausrichten. Um dieses Ziel zu erreichen, muss uns bewusst werden, dass die ganze materielle Welt unwichtig und uns eigentlich "fremd" ist; damit denn verhüten wir, dass irgendetwas Materielles unsere geistigen Bemühungen stört. Nur dies ist eine Methode, die Erfolg verspricht.

Wenn wir uns so verhalten, dann helfen wir nicht nur uns selbst, sondern der ganzen Welt, die doch jederzeit bei G-tt als haarscharf im Gleichgewicht angesehen wird; und wenn wir danach streben, den rechten Weg zu gehen, machen wir damit die Waagschale schwerer auf der positiven Seite, im Sinne der endgültigen Erlösung und mit Blickrichtung auf diese.