Jakob kehrte nach Kanaan zurück, nachdem er 22 Jahre im Exil in Charan bei seinem Schwiegervater Laban verbracht hatte, und traf so auch wieder mit seinem Bruder Esau zusammen. Einige Zeit nach dieser Rückkehr ereignete sich, was die Tora in der dieswöchigen Sidra in folgenden Worten berichtet (Genesis 36, 6-8):

"Und Esau nahm seine Frauen, seine Söhne, seine Töchter und alle Leute seines Hauses, auch seine Habe, all sein Vieh und all seinen Besitz, welchen er im Lande Kanaan erworben hatte, und ging in ein anderes Land wegen seines Bruders Jakob. Denn ihr Vermögen war zu groß, als dass sie zusammen hätten wohnen können, und das Land ihres Aufenthaltes konnte sie wegen ihrer Herden nicht tragen. So ließ Esau sich auf dem Berge Se’ir nieder ..."

Raschi (zu Vers 7) gibt zunächst die Erklärung, die dem einfachen Wortsinn entspricht: "Die Worte 'das Land konnte sie nicht tragen' besagen, dass es nicht genug Weideland für ihre Tiere gab", und deshalb zog Esau fort. Dann aber bietet Raschi noch eine weitere Erklärung an, nämlich, dass Esau wegzog wegen des "Schuldscheines" des Exils – einer "Schuld", die als Gegenwert für das Land Kanaan Isaaks Kindern auferlegt war.

Jakob und Esau waren beide Isaaks Kinder. Einer von beiden oder beide im Verein konnten Kanaan übernehmen und damit die Verpflichtung, die "Schulden" des Exils zu zahlen. Esau aber erklärte (in Raschis Worten z. St.): "Ich mache mich lieber davon. Ich will weder einen Anteil am Geschenk haben – das Land ist ja ihm gegeben worden – noch an der Bezahlung der 'Schuld' ..."

Die "Schuld des Exils", von der hier die Rede ist, kam in G-ttes Dialog mit Abraham zum Ausdruck (Genesis 15, 13): "Deine Nachkommen werden Fremdlinge sein in einem Lande, das ihnen nicht gehört." Die Verfügung bestand darin, dass sie Fremdlinge in einem fremden Lande sein würden, nicht Siedler von Dauer. Das Exil sollte für sie kein Zustand von Bleibe sein, sie sollten sich dort nicht "zu Hause" fühlen. Esau hatte keinerlei Absichten, sich auf diese Weise für sein Leben festzulegen, und daher "ließ Esau sich (für ständig) auf dem Berge Se’ir nieder".

Die sehr lange Zeitspanne, in der wir (als Jakobs Kinder) die "Schuld" zu zahlen haben, ist noch nicht vorüber. Enden wird sie erst mit dem Kommen des Maschiach, der das Heiligtum in Jerusalem wieder aufbauen und endgültig unser Exil aufheben wird, indem er in das Heilige Land alle "Ausgestoßenen Israels" bringen wird (Maimonides, Mischne Tora, Hilchot Melachim, Ende von Kap. 11).

Es ist uns nicht gestattet, uns einen permanenten "Exil"-Lebensstil anzueignen, dadurch nämlich, dass wir uns auf die Annehmlichkeiten des Körpers konzentrieren, der doch zu Exil neigt. Wir sollen "vorübergehend ansässig" sein, soweit es sich um materielle Exil-Belange handelt, aber stark und dauernd sollen wir uns in Tora und Mizwot ansiedeln, die Sache der Seele sind – und die Seele ist niemals ins Exil gegangen, sie ist von diesem überhaupt nicht angetastet worden.

"Unsere Körper sind verbannt worden", erklärte der frühere Lubawitscher Rebbe s.A. bei seiner Verhaftung im Jahre 1927, "aber unsere Seelen sind nicht verbannt worden."