Auf eine seltsame, fast einzigartig jüdische Weise ist der Pharao bemitleidenswert. Ja, ich weiß, dass er den Mann, der sein Land rettete, sofort vergaß und seine Kinder versklavte. Dennoch habe ich ein wenig Mitleid mit ihm (es geht nicht um Vergebung, sondern um schlichtes Mitleid).

Schauen wir uns die Umstände genauer an. Ägypten beherrscht die Welt. Es hat Reichtum, Technik, Baukunst, Wissenschaft und die größten Ressourcen.

Also will jeder Ägypter werden, denkt der Pharao und teilt die Welt logischerweise in zwei Teile: Ägypter und Menschen, die Ägypter sein wollen (ich kenne einige Leute, die ähnlich über ihre Heimatstadt denken).

Als er nun sah, dass die Juden fern des schönen Nils lebten, so dass ihnen viel Freude entging, beschloss er, sie an der Fülle Ägyptens zu beteiligen. Der erste vernünftige Schritt bei dem Versuch, Ausländer in die eigene Kultur aufzunehmen, besteht darin, den Tod der ersten Einwanderer abzuwarten. Deren Kinder, die im Schoße des fortgeschrittensten Landes der Welt aufgewachsen sind, nehmen bestimmt alles begierig auf, was dieses Land zu bieten hat.

Doch als auch die zweite Generation von Juden zögerte, sich der ägyptischen Kultur anzupassen, vermutete der Pharao, ihre Isolierung im Hinterland Goschen verhindere ihre vollständige Integration.

Ägypter wollen den Erfolg. Arbeite hart, verdiene viel Geld und schmecke die Schätze Ägyptens. Der Pharao nimmt an, dass die Juden, sobald sie den Erfolg kennengelernt haben, immer mehr davon haben wollen. Deshalb bietet er ihnen zunächst die Chance, ihre Loyalität für das Land zu beweisen, das sie während der Hungersnot beschützt hat: Sie sollen an einem patriotischen Arbeitsprogramm teilnehmen und Pisom und Ramses wieder aufbauen. Tatsächlich erscheinen die Juden massenhaft, um ihre Dankbarkeit zu bekunden.

Aber es ist ein kurzer Weg von dort bis zum „Leistungswahn“. Unmerklich übernahmen sie unter großen eigenen Opfern die ägyptischen Ideale – sie opferten sogar ihre Freiheit. Arbeite, habe Erfolg, arbeite härter und habe noch mehr Erfolg!

Darum verlangt Mosche vom Pharao, die Juden auswandern zu lassen. Der Pharao schließt daraus, dass die Juden zu viel Freizeit haben und eine Kardinalsünde begehen: Sie lassen es zu, dass ihre „Philosophie“ und ihr „persönlicher Glaube“ sie vom großen Ziel abbringt. Also brauchen sie mehr Arbeit, damit sie die Früchte ihrer Arbeit sehen und fleißiger werden.

Deshalb musste der Pharao sich weigern. Welcher verantwortungsbewusste Herrscher würde seinen Untertanen gestatten, ihre Chance auf Reichtum und Erfolg zu untergraben, um hinaus in die Wildnis zu ziehen? Kann er zulassen, dass sie ihre Chance verlieren, Ägypter zu werden, und einem verbannten Fürsten folgen, um einen ungreifbaren, unbekannten und unprofitablen G-tt zu suchen?

Armer Pharao ... Er versteht nicht, er kann nicht verstehen, dass unsere Aufgabe als Juden darin besteht, zu dienen und nicht darin, bedient zu werden. Dinge sind wertvoll, wenn sie uns helfen, G-tt zu dienen. Tut uns Leid, Pharao, ein Auto ist nur deshalb nützlich, weil es mich zu einem kranken Freund bringen kann; aber es ist nicht mein Ziel.


Klingt diese Geschichte nicht unheimlich vertraut? Die westliche Kultur spricht dieselbe Sprache. Die Alten sind nicht mehr da – das ist Europa, hier arbeiten wir, hier produzieren wir. Was kümmert es uns, wenn die Früchte unserer Arbeit vergeblich sind? Wenn wir unzufrieden sind, arbeiten wir eben härter. Wie verehren jene, die bedient werden und andere nach ihrer Pfeife tanzen lassen.

Mosche weist den Pharao ab. Er erklärt, unsere Aufgabe sei das Dienen.

Das Mineral dient der Pflanze, diese dem Tier und dieses dem Menschen, der G-tt dient (hier springt der Pharao ab). Wenn ein Jude die Dienste des Pharaos verlassen möchte, dann deshalb, weil er G-tt dienen will. Das macht den Pharao wütend, so sehr, dass er seinen alten Freund Josef vergisst. Dann gerät er in Panik und will alles umbringen, was nicht in sein Weltbild passt.

Wenn Sie wieder einmal versucht sind, lange im Büro zu bleiben, um mehr Profite zu erzielen, sollten Sie innehalten und fragen: Was ist mein Motiv? Arbeite ich, um zu dienen oder um bedient zu werden?