In der Sidra "Sehen und Hören" des Wochenabschnittes Ekew haben wir einige Unterschiede, die zwischen dem ersten Absatz des "Schma Jisrael"-Gebets (Sidra Waetchanan) und dem zweiten Absatz (Sidra Ekew) bestehen, herausgestellt. Die damit eingeleiteten Gedankengänge seien jetzt weitergeführt. Wie wir aufzeigten, bezieht der erste Absatz sich auf die Offenbarung der Tora von "oben", versinnbildlicht durch das "Sehen"; der zweite Absatz behandelt die Offenbarung vom "Inneren" des Menschen her, angedeutet durch das "Hören". Der erste, im Singular, spricht von dem "einen", der zweite, im Plural, bezieht sich auf den Menschen in der menschlichen Situation.
Bei weiterer Untersuchung stellen wir nun fest, dass der erste Abschnitt nichts über Lohn und Strafe aussagt. Denn angesichts einer Vision des G-ttlichen braucht der Mensch keinen weiteren Antrieb, um Seinen Willen zu tun. Wenn er dagegen sich anschickt, von seiner eigenen Situation her zu G-tt hin zu streben, dann bedarf er anfänglich einer Motivierung (eben Lohn und Strafe), die ihm schon nach rein menschlichen Gesichtspunkten einleuchtet. Trotz dieses Zugeständnisses an menschlicher Schwäche jedoch finden wir hier, im zweiten Absatz, einen Hinweis auf die Beobachtung der Gebote, "sogar nachdem ihr zerstreut worden seid". Denn der erste Absatz schildert einen Zustand, in dem die Zerstreuung jeden Gehorsamswillen aufheben, ja die ganze Durchschlagskraft des G-ttlichen Befehls unwirksam machen könnte. Wenn der Wunsch, G-ttes Willen zu gehorchen, auf der Vision Seiner Allgegenwart beruht, kann dieser Wunsch hinfällig werden, wenn diese Vision von den düsteren Wolken des Exils überdeckt ist. Wenn dieser Wunsch aber aus dem Menschen selbst hervorgeht, dann behält er seine Stärke auch im Exilzustand bei.
Ferner lässt sich noch eine Verbindung feststellen, die zwischen den beiden Arten von Offenbarung (von Waetchanan und Ekew) und den beiden Arten von "Tröstungen" in ihren jeweiligen Haftarot besteht.
Der Tröstung die an den Menschen von außen herantritt, fehlt die Ietztliche Dimension von Innerlichkeit. Deshalb beschreibt die Haftara von Waetchanan – "Tröstet, tröstet mein Volk" – einen indirekten Trost, nämlich denjenigen, der durch die Propheten ersteht. Die Haftara von Ekew hingegen stellt sich hinein in das menschliche Bemühen, sich von innen her auf dem Wege zu G-tt vorwärts zu ringen. In ihrem schlimmsten Ausmaße ist diese Situation in den ersten Worten der Haftara dargestellt: "Zion aber sagt, der Ewige hat mich verlassen, der Herr hat mich vergessen." Gerade darin jedoch lässt sich die ganze Verinnerlichung erkennen: Die Tröstungen durch einen Propheten reichen schließlich nicht aus.
Und so gewährt G-tt, wie der Midrasch uns sagt, Israels Ansuchen. Es gibt zwar (Anfangsworte der normalen Haftara zur nächstwöchigen Sidra Reeh) "Arme, Sturmgetriebene, Nichgetröstete". Doch dann ruft Er aus (Anfangsworte zur Sidra Schoftim): "Ich bin es ja, Ich bin es, der euch tröstet." – Das ist die wahre, endgültige und bald bevorstehende Tröstung, das Kommen des messianischen Zeitalters.
Um schließlich auf die unterschiedlichen Ausdrücke von "Schülern" und "Kindern" einzugehen: Ebenso also wie die Offenbarung aus dem Inneren her fortbesteht, ganz gleichgültig, ob G-ttes Antlitz der Welt gegenüber hell oder dunkel ist, so muss diese Offenbarung nicht nur jenen übermittelt werden, die das "Licht" gesehen haben, das ist den "Schülern", sondern allen, den "Kindern".
Diskutieren Sie mit