Im Wochenabschnitt Waetchanan ist die Schma Jisrael enthalten, das grundlegende Gebet der jüdischen Liturgie. Wenn ein Jude die Schma Jisrael rezitiert, erklärt er nicht bloß, dass es nur einen G-tt gibt, sondern auch, dass die gesamte Existenz mit G-tt eins ist. Das Judentum ist nämlich der Meinung, dass man die materielle Welt nicht von der spirituellen trennen kann. Wir glauben nicht an einen G-tt, der im Himmel sitzt und der Welt ihren eigenen Lauf lässt. Nein, die spirituelle und die materielle Welt sind Manifestationen einer einzigen Einheit. Das meinen wir, wenn wir sagen, "G-tt ist einer". G-ttes Einheit umfasst alles, was wir sehen, hören oder wahrnehmen.

Darauf weist ECHAD, das hebräische Wort für eins hin. Es besteht aus drei Buchstaben. Der Erste, Alef, steht für Ejn Sof, G-ttes Unendlichkeit. Der Zweite, Chet, hat den Zahlwert acht und symbolisiert die sieben spirituellen Ebenen und unsere materielle Welt. Der Letzte, Dalet, hat den Zahlwert vier und spielt auf die vier Himmelsrichtungen an. Das bedeutet also, dass Alef, G–ttes unendliche Transzendenz, Chet durchdringt, d. h. alle achte Ebenen der Existenz und vor allem Dalet, die vier Himmelsrichtungen. Wo immer wir hingehen, wir sind nie von G-tt getrennt.

Auf dieser Basis verstehen wir, warum die Schma Jisrael auch eine Botschaft ist, die uns mit den Märtyrern unseres Volkes verbindet. Wenn ein Märtyrer sein Leben für seinen Glauben opfert, erklärt er damit, dass er sich weigert, das Materielle vom Spirituellen zu trennen. Selbst unter Zwang verzichtet er auf ein Leben, das ihn von seiner inneren g-ttlichen Essenz trennen würde. Er kann sich ein Leben, das seinem spirituellen Kern widerspricht, nicht vorstellen. Für ihn ist die Einheit mit G-tt keine Theorie, sondern Wirklichkeit.

Die Schma Jisrael fährt mit dem Gebot fort, G-tt zu lieben. Das wirft eine Frage auf: Kann die Tora uns Liebe vorschreiben? Entweder wir lieben, oder wir lieben nicht. Niemand kann uns befehlen, etwas zu empfinden. Darum stellt die Schma Jisrael zuerst die Einheit G-ttes fest, und danach folgt das Gebot der G-ttesliebe. Wenn ein Mensch die Einheit G-ttes verstanden hat und begreift, das G-tt sich in jedem Element der Existenz manifestiert, dann löst diese Erkenntnis in ihm Liebe aus. Denn der Intellekt bringt die Gefühle hervor, und wenn wir G-tt wahrnehmen, lieben wir ihn.

Danach erwähnt die Schma Jisrael mehrere Mizwot: das Gebot, die Tora zu studieren, Tefillin zu tragen und Mesusot am Türpfosten anzubringen. Denn durch diese Taten – und darüber hinaus durch ein jüdisches Leben – wird die von der Schma Jisrael erklärte Einheit zu einem Teil unseres täglichen Lebens.