Mit dem Kommen der Kinder Israels ins Heilige Land trat für sie eine Serie von Geboten in Kraft. Eines davon ist die Mitzwa der Abgabe der Erstlingsfrüchte. Der jüdische Bauer bringt diese zum Kohen, welcher sie durch einen rituellen Akt übernimmt.

Das Gebot der Erstlingsfrüchte soll den tiefen Dank des Juden seinem Schöpfer gegenüber ausdrücken, begleitet von der Erkenntnis, dass doch Er alleiniger Eigentümer der Welt ist. Anders als bei anderen Geboten, deren Erfüllung an das Land Israel gebunden ist, besteht die Pflicht der Abgabe der Erstlingsfrüchte erst mit der Eroberung des ganzen Landes und seiner Verteilung unter allen Stämmen Israels, wie es heißt: Wenn du in das Land kommst ... und du nimmst es ein und wohnst darin, (erst dann) so sollst du nehmen ...

Die Eroberung des Landes Israel und seine Verteilung erstreckte sich über vierzehn Jahre. Es wäre logisch, dass derjenige, welcher sein Land bereits erhielt, gesät hat und nun auch schon seine Früchte ernten kann, schon Erstlingsfrüchte abzugeben hätte, auch wenn das restliche Volk noch nicht das ganze Land in Besitz genommen hat. Da lehrt uns die Thora, dass, solange das Land nicht vollkommen erobert und unter den Stämmen verteilt wurde, die Erstlingsfrüchte nicht abgegeben werden können.

Ein Dankeschön zu wenig?

Aber an uns liegt es diese Festlegung der Thora zu begreifen: Der Sinn der Abgabe der Erstlingsfrüchte ist doch der Dankausdruck des Juden gegenüber G-tt. Wenn jener also schon seinen Landteil erhalten hat und sich bereits an seinen Früchten erfreuen kann, warum sollte er sich dann nicht bei dem Schöpfer allen Landes dankbar erweisen? Und da die Landeinnahme und seine Verteilung ein so langwieriger Prozess waren und schon zu Beginn viele jüdische Bauern ihren Landteil bekamen, das Feld bearbeiteten und sich ihrer besten Früchte erfreuten (und das über ein Jahrzehnt!), wäre doch die Nichtabgabe der ersten Früchte grobe Undankbarkeit G-tt gegenüber!

Die Einheit bringt’s

Diese Festlegung der Thora aber lehrt uns die tiefe Einheit im jüdischen Volk, welche so ihren Ausdruck findet. Mit dem Gebot der Erstlingsfrüchte erweisen wir G-tt Dank für das vollkommene Gute, das Er uns spendet. Deshalb bezieht sich dieses Gebot nur auf die sieben Arten, mit denen das Land Israel gesegnet wurde, denn nur diese Früchte bringen den Menschen zur vollkommenen Freude. So konnte das Gebot der Erstlingsfrüchte, welche nur in einem Zustand der absoluten Freude dargebracht wurden, nicht vor der ganzen Landeinnahme und Verteilung unter allen Stämmen erfüllt werden.

Denn solange es noch einen Juden gibt, dessen Erbe noch immer nicht in seinem Besitz ist, kann die Freude seines Nächsten – eben wegen der verwurzelten Einheit unter dem ganzen Volk – nicht absolut sein, auch wenn dieser schon längst seinen Landteil erhielt! Denn fehlt es bei einem Juden an der Freude über seine Landeinnahme, blockiert dies die Freude aller anderen. Deshalb konnten die Erstlingsfrüchte von niemandem abgegeben werden, da es bei allen an wahrer Freude fehlte!

Viele Glieder – ein Körper

Dieses Konzept der Nächstenliebe hängt sehr eng mit dem 18. Elul zusammen (welcher sehr oft in die Woche unserer Thoralesung fällt), dem Geburtstag der zwei großen Chassidut-Meister: des Baal Schem Tow und des Alten Rebben. Einen der Grundsteine der Chassidut bildet die Nächstenliebe, und ihre Lehre lässt uns die tiefe, seelische Bindung unter dem jüdischen Volk begreifen.

Die Einheit des jüdischen Volkes gleicht nicht der einer Menschengruppe, welche sich eines gewissen Zieles wegen zusammengeschlossen hat, sondern vielmehr handelt es sich um eine Bindung gleich des Körpers mit seinen Gliedern. Zwar sind dies verschiedene Glieder, aber ihre Verbundenheit ist so stark, dass der kleinste Schmerz in einem Glied sofort auch von allen anderen empfunden wird. Und mit der Kraft der Einheit unter uns bitten wir G-tt: „Segne uns, unser Vater, uns alle vereint“1 mit einem guten und gesunden Jahr!

(Likutej Sichot, Band 9, Seite 153)