Eine der Regeln von Rambam für die Methode der Aufzählung der 613 Grundvorschriften in der Thora lautet1, dass ein allgemeines Gebot wie Ihr sollt heilig sein oder Meine Gebote sollt ihr befolgen nicht als ein eigenes Gebot gezählt wird und somit nicht in die Zahl der 613 Grundvorschriften fällt. Denn dies sind allgemeine Gebote, welche die gesamte Thora umfassen.
Aber in Bezug auf das Gebot in unserem Wochenabschnitt, Du sollst in Seinen Wegen wandeln, schreibt Rambam: „Dies ist eine der 613 Grundvorschriften, G-tt „zu ähneln“. Wie G-tt gnädig ist, sei auch du gnädig; wie G-tt barmherzig ist, sei auch du barmherzig; wie G-tt wohltätig ist, sei auch du wohltätig“.2 Dem Anschein nach aber handelt es sich bei diesem Gebot um eine allgemeine Vorschrift; weshalb jedoch wird sie als ein eigenes Gebot aufgezählt?
Daraus lässt sich schließen, dass dieses Gebot eine besondere Lehre in sich trägt (welche auf jedes Gebot angewendet werden kann), die aber andere allgemeine Gebote nicht beinhalten. Und wegen dieser Einzigartigkeit gilt diese Mitzwa als ein eigenes Gebot und fällt in die 613 Grundvorschriften!
Der Fortschritt
Die jüdische Mystik erklärt, dass der Unterschied zwischen den Menschenseelen und den Engeln darin besteht, dass die Engel „Stehende“ genannt werden, die Menschenseelen aber „Gänge“ (in denen man voranschreitet)3, wie es in den Prophetenbüchern heißt: So gewähre Ich dir Gänge zwischen den hier Stehenden (den Engeln).4
Die Engel, obwohl in ihrem Dienste an G-tt ständig höhere, geistige Ebenen erreichend, bleiben im Generellen in ihrer ursprünglichen Lage, auf ihrer Basisebene (wie jemand, der zwar der verschlossenen Tür immer näher kommt, sie aber niemals überwindet und sich nie von seiner ursprünglichen Lage erhebt). Auf diese Weise hat G-tt die Engel erschaffen. Doch den Menschen kreierte G-tt mit der Möglichkeit und Kraft „voranzuschreiten“, immer weiter und weiter, eine Stufe nach der anderen, und so fort!
Perfektes Modell
Das ist das Besondere an dem Gebot Du sollst in Seinen Wegen wandeln: Nur G-tt ist vollkommen, doch uns gebietet Er zu wandeln; dem Erfüllen der Gebote und dem Ausüben guter Taten sollen wir kein Stoppschild setzen. Dieser ständige Fortschritt wird möglich, wenn wir die Gebote erfüllen, weil es Seine Wege sind, um Ihm zu ähneln.
Die einen begehen die Mitzwot der Tradition wegen, weil dies auch ihre Väter und Großväter getan haben. Andere wieder befolgen sie aus Gewohnheitssache und wieder andere um den Lohn, den die Thora verspricht, zu erhalten. Aber nicht diese Gründe sollen Antrieb für den G-ttesdienst sein. Sich der Gutmütigkeit G-ttes zu nähern ist unser Ziel, seiner Reinheit und Heiligkeit nahe zu kommen. Zwar kann niemals ein Mensch Vollkommenheit erreichen, doch mit einem hoch gesetzten Ziel kann er auf jeden Fall einen gigantischen Aufstieg und persönliche Lauterkeit (spirituelle Reinheit) erleben.
„Ihm anzuhängen“
G-tt gibt uns so die Kraft unsere eigenen, inneren Grenzen (welche die echte Blockade jeder guten Sache bilden) zu überwinden und uns an Seine Unendlichkeit zu hängen. Denn das ist die besondere Fähigkeit, die G-tt in Seinen Mitzwot verewigt hat, durch welche der kleine, begrenzte Mensch immer weiter „aufsteigen“ kann um das Wesen des ewigen G-ttes zu „berühren“!
Und um uns diese Bindung mit G-tt zu erleichtern, gebietet uns die Thora eine weitere Mitzwa, Ihm anzuhängen, die Rambam auf folgende Weise erklärt: „Sich zu binden an die Gelehrten und ihre Schüler“.5 Indem sich der Jude an den Zadik, den Gerechten und Weisen, hängt, welcher eine besondere G-ttesnähe erreicht hat und ihm mit Rat zur Seite steht, kann er viel leichter G-tt anhängen und so in Wahrheit seinem Schöpfer mit ganzem Herzen dienen.
(Likutej Sichot, Band 4, Seite 1130)
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