Das Pessach-Fest ist nicht nur das erste der drei Feste Israels, Pessach, Schawuot und Sukkot, sondern bildet Kern und Ursprung derselben. Der Auszug aus Ägypten war die unmittelbare Vorstufe für das monumentale Weltereignis – der G-ttesoffenbarung am Berg Sinai! Und auch das Sukkot-Fest soll an den Auszug aus Ägypten erinnern, wie es heißt: dass Ich habe wohnen lassen Israel in Laubhütten, als Ich sie aus Ägypten herausgeführt habe.
Die hauptsächliche Bedeutung dieses Feiertags ist das Werden unseres Volkes zur freien Nation. Diesen Prozess beschreibt die Thora mit folgenden Worten: Ob ein G-tt versucht hat zu kommen sich zu nehmen ein Volk aus der Mitte eines Volkes, mit Versuchungen, Zeichen und Wundern ... ganz so wie G-tt für euch getan in Ägypten vor euren Augen1? Der Ausdruck Volk aus der Mitte eines Volkes deutet den wahren Sinn des Auszugs aus Ägypten.
Der Embryo
Volk aus der Mitte eines Volkes heißt zweierlei: Einerseits zeigt es die Tatsache, dass Israel auch schon in Ägypten eine geschlossene Gesellschaft darstellte – „Volk“ – durch ihre eigene Sprache, ihr Wohnviertel (Goschen), ihre spezifische Kleidung usw., aber andererseits lebte es „in der Mitte eines Volkes“ – Israel war einem anderen Volk untergeben und von diesem abhängig.
Unsere Gelehrten vergleichen2 diesen Zustand, in dem das jüdische Volk sich befand, mit einem Embryo im Leib seiner Mutter. Zwar ist dieser schon eine eigene lebendige Existenz, die einen Kopf, Hände und Füße hat – trotzdem führt er kein selbständiges Leben, sondern ist voll und ganz von seiner Mutter abhängig.
Was ist mit der Nabelschnur?
In diesem Zustand befand sich auch das jüdische Volk unter der Herrschaft Ägyptens. Obwohl es seine besonderen Merkmale hatte, hing es voll und ganz an der Nabelschnur Ägyptens, sodass sogar diese Abhängigkeit seine besonderen Merkmale verblassen ließ und es schien, als wäre Israel, das auch Ägyptens Götzen anbetete, ein Teil Ägyptens.
Um diese aufgezwungene Verbindung mit Ägypten zu zerreißen, musste die empfindlichste Stelle Ägyptens getroffen werden. Israel wurde geboten das Pessachopfer darzubringen. Sie sollten das Lamm, eine Gottheit des Alten Ägyptens, schlachten und verzehren. Diese Mutprobe für das jüdische Volk – eine Gottheit des mächtigsten Reiches zu jener Zeit zu opfern – war der erste Schritt die Ketten, mit denen Israel an Ägypten gebunden war, zu zerschlagen!
Pessachopfer
Und in diesem Punkt verbirgt sich die wahre Bedeutung des Auszugs in die Freiheit. Ein Mensch könnte glauben jegliche Freiheit zu genießen. Er lebt in einer demokratischen Gesellschaft, hat Rede- und Pressefreiheit, er kann denken, wie er will, und dies auch aussprechen. Aber der Schein trügt. In Wirklichkeit hängt er an der „Nabelschnur“ – der Gesellschaft rings um ihn herum. Er ist nicht frei, sondern „Sklave“ seiner Umgebung, „Sklave“ der Denkvorstellungen und Weltsichten dieser Gesellschaft. Und das Absurde daran ist, dass er dennoch zu wissen meint, was wahre Freiheit bedeutet.
Das Pessachfest, welches als Symbol wahrer Freiheit steht, ermöglicht es uns auch heute wahre Freiheit zu erlangen. Der erste Schritt dazu ist die „Schlachtung der Gottheit“, die der Mensch, vielleicht auch völlig unbewusst, anbetet und der er nacheifert. Wir dürfen die Weltsichten der Gesellschaft, in der wir aufwachsen, nicht blind akzeptieren und nach ihnen unser ganzes Leben richten. Wir empfinden vieles als normal und richtig, eben aus Gewohnheitssache. Aber schon auf den zweiten Blick erkennt man, dass nicht jeder Lebensstil in unserer Gesellschaft „makellos“ ist.
Das Pessachfest gibt uns die Kraft ein wahres Gefühl der Freiheit zu erleben, unsere inneren Grenzen zu überschreiten und uns an Höheres zu binden – durch die Thora und Mitzwot!
(Aus der Pessach Haggada mit dem Kommentar des Lubawitscher Rebben)
Diskutieren Sie mit