Pessach ist als das „Fest unserer Freiheit“ bekannt. Nicht nur im Volksmund wird Pessach so genannt, sondern dieser Ausdruck prägt auch die Gebete für Pessach. Wir sind außerdem verpflichtet, den Auszug aus Ägypten nicht als etwas Vergangenes zu betrachten, sondern ihn an jedem Tag aufs Neue zu erleben. So sagen unsere Meister: „An jedem Tag muss der Mensch sich betrachten, als wäre er aus Ägypten ausgezogen.“1 Zu jeder Zeit also sollen wir in „die Freiheit ziehen“.
Wurden wir aber wirklich zu freien Menschen beim Auszug aus Ägypten? G-tt hatte uns doch nur vom Pharao befreit, um Seine Diener zu werden, wie in der Thora geschrieben steht: Sobald du dieses Volk aus Ägypten führst, soll es Mir dienen.2 Zwar kamen wir aus der Knechtschaft Pharaos frei, doch gerieten gleichzeitig in die Knechtschaft G-ttes, die viele Pflichten mit sich bringt. Obgleich wir den Dienst an G-tt willentlich aufgenommen haben – inwiefern jedoch können wir Pessach als die „Zeit unserer Freiheit“ nennen?!
Relative Freiheit
Was bedeutet eigentlich „Freiheit“? Freiheit ist etwas Relatives. Was für den einen „Freiheit“ bedeutet, ist zugleich für jemand anderen ein Gefängnis. Man kann die Relativität der Freiheit veranschaulichen, indem man den Begriff „Freiheit“ auf die Welt des Leblosen, die Pflanzenwelt, die Tierwelt und den Menschen anwendet.
Was bedeutet Freiheit für die Begriffe einer Pflanze? – wenn sie alle notwendigen Voraussetzungen zum Wachsen hat, sprich nahrhafte Erde, Wasser, Luft, Sonne usw.
Doch genau die Voraussetzungen, welche für eine Pflanze die größte Freiheit bilden, würden für ein Tier keineswegs als Freiheit betrachtet werden. Einem Tier reicht Nahrung, Licht und Wärme nicht aus, um sich frei zu fühlen, wenn es an einem Ort gefangen ist. Es braucht Bewegungsfreiheit. Für seine Begriffe bedeutet „Freiheit“ sich uneingeschränkt bewegen zu können.
Doch all das, was ein Tier als „Freiheit“ sieht, kann nicht einmal annähernd die Freiheit eines Menschen ausdrücken. Auch wenn man dem Menschen all seine körperlichen Bedürfnisse gibt, ihm jedoch geistige Nahrung verwehrt – die Möglichkeit seinen Verstand einzusetzen – würde dies der Mensch als große Unterdrückung betrachten. Denn als intellektuelles Wesen bedeutet für den Menschen „Freiheit“ die Nutzung seines Verstandes.
Freiheit für die Seele
Doch auch die größte Freiheit für einen Menschen entspricht bei Weitem nicht der Freiheit der jüdischen Seele. Denn die Seele jedes Juden „ist wahrhaftig ein Teil G-ttes von droben“3 und auch nachdem sie sich in den Körper gekleidet hat, bleibt sie weiterhin mit G-tt verbunden. Für die jüdische Seele bedeutet Freiheit die Möglichkeit, die Bindung mit G-tt zu stärken und zu vertiefen – durch die Thora und das Erfüllen der Mitzwot!
Nun wird auch folgende Aussage unserer Meister verständlich: „Frei ist nur derjenige, der sich mit dem Thorastudium (und den Mitzwot) beschäftigt.“4 Der Talmud sagt, dass die Thora für einen Juden lebensnotwendig, wie Wasser für einen Fisch, ist.5 Wenn der Fisch im Wasser ist, sieht er das nicht als eine Last, sondern als sein Leben, denn nur darin kann er leben und sich entwickeln. Auf diese Weise handelt es sich auch bei uns: Nur durch die Thora und die Mitzwot leben wir in Freiheit, „denn die Thora ist unser Leben!“6
Keine Last
G-tt hat den Juden auf eine solche Weise erschaffen, dass er seitens seines inneren Wesens (auch wenn das nicht immer zutage kommt) von Natur aus die Mitzwot erfüllen muss, so wie der Mensch atmen muss. Die Thora ist für ihn keine Knechtschaft, sondern ganz im Gegenteil: sie ist sein Leben!
Darin liegt sodann die eigentliche Bedeutung von „Freiheit“. Wahre Freiheit (beim Menschen) bedeutet den Bedürfnissen des Menschen völligen Ausdruck zu geben. Und ein Jude, dessen wahres Wesen seine g-ttliche Seele ist, erlangt erst dann wahre Freiheit, wenn er G-tt dient und sich in die Thora und den Mitzwot steigert. Was für andere Menschen eine Knechtschaft bedeutet, ist für den Juden der Weg zu einem sinnerfüllten, freien Leben!
(Hagada mit Erläuterungen des Lubawitscher Rebben, Jahrgang 5751, Seite 584)
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