In die kommende Woche fällt Rosch Chodesch Elul, der Neumond. Im Talmud (Sanhedrin 42a) wird ein vortrefflicher Vergleich aufgestellt: "Dem Monde befahl Er, sich zu erneuern wie eine herrliche Krone … Wie er, so sollen auch sie (die Juden) sich in Zukunft erneuern, zum Preise ihres Schöpfers." In dieser bildlichen Darstellung – die auch im Segensspruch über den neuen Mond zum Ausdruck kommt – wird das jüdische Volk mit dem Monde verglichen. So wie der Mond zeitweise seinen Glanz verliert, um dann um so schöner erneuert zu werden, so wird auch das jüdische Volk aus der augenblicklichen Dunkelheit des Exils zur Erneuerung kommen, um im vollen Glanz zu strahlen.
Könnte man aber nicht meinen, dass dieser Vergleich hinkt? Das Leiden der Juden ist ein tatsächliches, während die Mondphasen doch nur scheinbare sind! Denn in Wirklichkeit ändern sich Gestalt, Größe oder Glanz des Mondes überhaupt nicht; die Mondphasen zeigen nur an, wie er von der Erde her aussieht. Kurz vor dem Neumond ist er für uns auf der Erde nicht sichtbar. In der ersten Phase sehen wir ihn dann wieder – obwohl doch der Mond, als solcher, sich gar nicht verändert hat. Die der Sonne zugewandte Seite ist immer hell, und die andere Seite immer dunkel. So also bringen die verschiedenen Phasen lediglich zum Ausdruck, wie der Mond für uns aussieht, seine Beschaffenheit als solche hingegen bleibt die gleiche.
Bei etwas genauerem Nachdenken aber erkennt man, ganz im Gegenteil, dass dieser Vergleich zwischen Israel und den Phasen des Mondes ein sehr scharfsinniger ist.
Die Tora – Torat Emet, die Tora der Wahrheit – beurteilt alles aufgrund seines eigentlichen Wesens, seines wahren Zweckes. Die Tora befasst sich nicht mit der äußeren Erscheinung einer Sache, sondern stets mit ihrer inneren Aufgabe. So auch beim Mond und seinen Phasen: Die Tora hat nur das im Auge, was seine wirkliche Funktion ist. Daher heißt es, ganz im Einklang mit diesem Prinzip, bei der Erschaffung der Lichter am Firmament (Genesis 1, 15): "Sie sollen zu Lichtträgern am Firmament werden, um Licht über die Erde zu spenden." Der wahre Zweck des Mondes (wie der Sonne), zu dem er geschaffen worden ist, besteht darin, dass er die Erde erhellt. Daher ist der Mond zu einer Zeit, wenn er – zwar weiterhin physisch vollständig – diese seine Aufgabe nicht erfüllt, wenn er also kein Licht über die Erde ausstrahlt, im Sinne der Tora nicht "vorhanden".
Der Mond hat demnach nur dann eine Realität, wenn er leuchtet, zu einem Viertel, zur Hälfte oder ganz, je nachdem. Wenn der Mond nicht scheint, dann ist er, seinem Wesen nach, nicht "da"; dann befindet er sich im Zustand der Vorbereitung – Vorbereitung zu seiner wahren Aufgabe, das ist: sich zu erneuern, um die Erde hell zu machen.
Auf diese Weise kann man den oben zitierten Talmud-Ausspruch wohl verstehen: "So sollen auch sie (die Juden) sich in Zukunft erneuern." Physisch besteht das jüdische Volk immer, es dauert an. Solange jedoch die Juden im Exil leben, können sie ihre wahre Aufgabe nicht erfüllen – nämlich dem Schöpfer in idealer, vollkommener Form zu dienen. Im Exil also gleichen sie dem unsichtbaren Mond, der zwar materiell existiert, der aber als Lichtspender zeitweilig nicht funktioniert.
Natürlich kann ein Jude im Exil reich sein und viel Besitz sein eigen nennen. G-tt gegenüber ist er aber zu der Klage berechtigt, dass sein Reichtum eigentlich nichts bedeutet. Materieller Besitz stellt nicht den Zweck seines Lebens dar. Sondern sein Lebenszweck ist (wie es in den Schabbat- und Feiertagsgebeten heißt), "Dir mit reinem Herzen wahrhaft zu dienen"; und dies kann nur dann folgerichtig und regelrecht getan werden, wenn der Maschiach gekommen ist und es wieder ein zentrales Heiligtum gibt.
Materielle Güter im Exil sind bestenfalls von zweitrangiger Wichtigkeit, weil es für den Juden nur dann eine Realität gibt, wenn er seine Aufgabe erfüllt. Reichtum und Besitz haben ihren Nutzen, jedoch nur dann, wenn sie dazu verhelfen, das Leiden des Exils zu mildern. Das Exil – die Galut – aber ist bloß Vorbereitung auf die messianische Zeit – genauso wie der Mond, wenn er dunkel ist, sich auf seine "Wiedergeburt" als ein Leuchtkörper vorbereitet. "So wird, wie er, das jüdische Volk sich erneuern", wie es im Talmud heißt: Erst im messianischen Zeitalter werden wir unsere Mission vollständig ausführen können.
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