In der dieswöchigen Sidra Reeh legt die Tora folgendes fest (Deut. 12, 11): "Und es soll sein, in Bezug auf den Ort, den der Ewige, euer G-tt, erwählen wird, Seinen Namen dort ruhen zu lassen – dorthin sollt ihr alles bringen, wozu Ich euch verpflichte: eure Ganzopfer und eure Mahlopfer …" (usw.). Raschi zur Stelle erklärt, dass dieser Ort, "den der Ewige, euer G-tt, erwählen wird", Jerusalem ist.

Im "Sefer Hachajim" (dem "Buche des Lebens"), einem Werke, welches der Bruder des berühmten "Maharal von Prag" (R. Jehuda Loewe, 1520-1609) verfasst hat, wird die Frage aufgeworfen, warum Jerusalem, als solches, spezifisch bei seinem Namen an keiner Stelle im Pentateuch genannt ist, lediglich als der "Platz, den G-tt erwählen wird".

Synagogen werden im Allgemeinen (in "westlichen" Ländern) so gebaut, dass die Gemeinde sich beim Beten nach Osten wenden kann; und die Heilige Lade mit den Torarollen ist an der Ostwand angebracht. Vorzüglich wenn wir die "Amida", das "Achtzehngebet", rezitieren, sind wir darauf bedacht, uns dem Osten zuzuwenden; denn dies ist die Richtung zum Heiligen Lande, von Europa und Amerika her gesehen. In der Tat sollen wir in jedem Lande, wo immer auf der Erde wir wohnen, unsere Gebete in Richtung von Erez Israel verrichten. In der Türkei, zum Beispiel, würde dies mit sich bringen, dass die Synagogen zum Süden hin gebaut sind, weil die Türkei nördlich des Heiligen Landes liegt.

Und nicht nur die Augen der Beter, wo immer sie sind, sollen zum Heiligen Lande hin schauen, sondern in ihrem Inneren sollen sie das Gleiche tun. Sie müssen sich bewusst sein, dass sie in Richtung von Jerusalem stehen, zur Stelle des Tempels hingewandt, und da wiederum zum Allerheiligsten hin, dem "innersten Punkt" des Tempels.

Immerhin ist dies aber erst das äußere Bild. Hinzu kommt, dass die Herzen des jüdischen Volkes, obwohl die Juden über die ganze Welt verstreut sind, sich einem einzigen Punkt zuwenden, eben Jerusalem (s. Schulchan Aruch, Orach Chajim, 94, 1-2). Also: Wo immer ein Jude lebt und betet, sind sein Körper wie sein Herz ausgerichtet auf die Heilige Stadt; und so folgt daraus, dass auch in allen Orten, die außerhalb von Erez Israel liegen, Jerusalem (im übertragende Sinne) genau seinen Platz hat!

Der Verfasser des genannten "Sefer Hachajim" erläutert, dementsprechend: Die Wahl der Worte in der Tora im zitierten Vers – also: "Der Platz den G-tt erwählen wird" – besagt, dass eben der Platz, wo immer er auch sei, an dem jemand zu. G-tt betet, genau dies der Platz ist, "den G-tt erwählen wird".

Eine Frage aber bleibt, nämlich diese: Wenn dem so ist, was machen wir dann mit der Bemerkung im Talmud (K’tuwot 110b), die da lautet: "Wer immer außerhalb von Erez Israel lebt, ist so, als hätte er keinen G-tt?" Die Antwort ist, dass dieser talmudische Ausspruch sich auf denjenigen bezieht, der so lebt, dass er auch in seiner Gedankenwelt – insgesamt – einen "permanenten Aufenthalt" in der Diaspora genommen hat, bis zu einem Grade dass er nicht im geringsten mehr an der Erlösung interessiert ist, keine einige gedankliche Beziehung zum Maschiach hat und auch nicht einmal in irgendeiner ideellen Beziehung zum Heiligen Lande steht.

Derjenige aber, der sich, wenn immer er betet, nach Erez Israel wendet, dessen Aufenthaltsort, wo immer er auch leben mag, ist "von G-tt erwählt".