Im Zusammenhang mit dem möglichen Erlassen von Gelübden – von denen die Sidra Matot in ihrem ersten Teil spricht – ergibt sich für eine Frau ein Unterschied zwischen dem Zustand von "Verlobung" ("Kidduschin") und eigentlicher "Vermählung" ("Nissuin"). Während heute diese zwei Schritte auf dem Wege zur Ehe unmittelbar hintereinander, unter der Chuppa, begangen werden, waren dies ursprünglich zwei von einander getrennte Stadien, die zu verschiedenen Zeitpunkten stattfanden. In beiden Umständen hat der Ehemann eine gewisse Machtbefugnis, was ein Gelübde seiner Frau betrifft. Man hätte meinen können, dass diese Machtbefugnis größer nach der "Vermählung" als im Zustand von "Verlobung" wäre. In einer Hinsicht jedoch ist dies nicht der Fall; denn während der Zeit von "Verlobung" – nicht aber danach – ist der Mann ermächtigt, Gelübde der Frau zu annullieren, welche diese als lediges Mädchen auf sich genommen hatte.

Wie ist dies möglich? Wie lässt sich erklären, dass im Zustand von "Verlobung" der Mann eine größere Befugnis hat als nach der Heirat? Eine Erklärung (Talmud, Nedarim 67a ff.) gründet sich darauf, dass er dieses Recht nicht für sich allein hat, sondern vielmehr nur in Partnerschaft mit dem Vater des Mädchens. Zusammen können beide ihr Gelübde aufheben. Man kann sagen, dass der Vater gleichsam seine Autorität dem zukünftigen Schwiegersohn überträgt. Auf der anderen Seite hat der Schwiegersohn, für sich allein, schon ein Veto-Recht; und so übernimmt er keine Befugnisse vom Vater.

Diese – kurz erläuterten – Grundsätze der Halacha (des jüdischen Rechtes) lassen sich auf das religiöse Leben, ganz allgemein, in Anwendung bringen. Durch zwei Menschen kann ein Jude sich an G-tt anschließen, durch "Verlobung" und durch "Vermählung".

Schon bei der "Verlobung" ist es jedem anderen Manne verboten, ein Verhältnis zu dem Mädchen zu haben. Ebenso übernimmt ein Jude, wenn er mit G-tt "verlobt" ist, eine entscheidende Verpflichtung. Er hat jetzt beschlossen, dass nichts anderes seiner Hingabe im Wege stehen oder diese wegnehmen kann. Allein der Wille G-ttes ist noch für ihn maßgebend.

Dies ist an sich eine sehr bedeutsame Handlung, dennoch ist sie, vorläufig, nur ein negativer Akt. Noch hat er das geistige Niveau von "Vermählung" nicht erreicht, das ist der Zustand, wo er (Genesis 2, 24) "sich anschließt ... und zu einem Fleische" mit der Gegenseite werden soll. Und ebenso wie die Frucht von Heirat in der Nachkommenschaft besteht – den Kindern, durch die die Eltern sich fortsetzen –, so ist die Frucht des totalen Zusammenseins mit G-tt die gute Tat, das sind die Tugenden, die sowohl den Willen G-ttes wie die "Selbstauslöschung" des Menschen manifestieren: "Was sind die Abkömmlinge der Gerechten? Ihre guten Taten" (Raschi, Anfang der Sidra Noach; Bereschit Rabba 30, 6).

So zeigt sich also, dass der Zustand von geistiger "Vermählung" weit über das Stadium von "Verlobung" hinausgeht. Dennoch hat das letztere seine ihm eigenen Vorzüge, und zwar aufgrund dieser Überlegungen:

In diesem Zustand weiß der Verlobte genau (wie oben gezeigt), dass er eine (halachische) Befugnis nur in Partnerschaft mit dem Vater des Mädchens hat. Auf sich selbst allein gestellt, hat er keine Rechte. Auf das Geistige übertragen, bedeutet dies, dass all seine Befähigungen von G-tt abhängen; erst in Zusammenarbeit mit Ihm kann er sich auf Höhen emporschwingen, die er allein, und auf sich selbst angewiesen, niemals anstreben könnte.

Die Lehre ist diese: Wie weit auch immer ein Mensch auf dieser "Fahrt in das Geistige" weiterreist, selbst wenn er sich vollständig mit G-tt "vermählt", darf er doch nie vergessen, dass er aus eigener Kraft und Befähigung nichts erzielen kann. Vielmehr muss er sich mit dem vereinigen, das höher ist als er selbst. Im religiösen Bereiche ist Selbstzufriedenheit nie am Platze. Wie hoch ein Mensch auch stehen mag, er ist – noch immer – unvollständig, er ist erst noch der "Verlobte". Aber zusammen mit G-tt – dem Vater! – ist es ihm gegeben, die Beschränkungen der Welt zu "annullieren".