Wie die dieswöchentliche Sidra berichtet (Num. 35), wurde Moses von G-tt aufgegeben, "Städte der Zuflucht" für die Israeliten zu bestimmen, und zwar für die Zeit, wenn sie das Gelobte Land betreten haben. Das jüdische Recht (Talmud Makkot 9b) ermöglichte es einer Person, die des Totschlages ohne Vorbedacht (oder sogar des Mordes) schuldig war, in einer solchen Stadt Zuflucht zu nehmen und so den Angehörigen des Ermordeten, die die Tat ahnden wollten, zu entkommen. Niemand durfte ihn in einer dieser Städte antasten; er war in Sicherheit, bis sein Fall durch einen Gerichtshof untersucht und entschieden war. Breite, gut gepflasterte Straßen führten zu den Städten der Zuflucht, um dem Flüchtigen den Weg zu erleichtern. An allen Straßenkreuzungen waren große Wegweiser angebracht, mit der Aufschrift "Zuflucht! Zuflucht!", die die genaue Richtung anzeigten.
Die Tora gilt für die Ewigkeit. Ihre Geschichten wie ihre Gesetze sind immer gültig, sie vermitteln jeder einzelnen Generation eine klare Botschaft. So auch hier: Obwohl die Gesetze über die Städte der Zuflucht augenblicklich praktisch nicht angehen, ist auch für uns ihre Botschaft angebracht und wichtig.
Viele Juden stehen heute, sozusagen, an einer Straßenkreuzung, und die Wege, die dort vor ihnen liegen, locken sie in die verschiedensten Richtungen. Ein Weg ist der der Beobachtung der Tora und ihrer Vorschriften, geistig wie materiell gesehen. Der andere Weg, ohne Tora und Mizwot, führt zur Assimilation und damit schließlich zur Auswegslosigkeit, Unzufriedenheit, ja, zur Unglücklichkeit.
Unsere Pflicht ist es, uns an diese Straßenkreuzungen zu begeben und uns den Juden zu nähern, die da in tiefer Verwirrung stehen, ungewiss, welche Richtung einzuschlagen, und ihnen zuzurufen: "Zuflucht! Zuflucht! Geh nach rechts, folge dem Weg, der zu den Städten der Zuflucht führt. Dort findest du ein Obdach vor dem 'Ahnder' – dem Versucher und dem bösen Triebe, die dich geistiger Verödung und dem Untergang zuführen wollen. Schlage nicht, G-tt behüte, den Weg nach links ein; dieser führt dich zu spiritueller Erniedrigung."
Leider jedoch sind manche unter uns nicht gewillt, unseren weniger gut informierten Glaubensgenossen als Wegbereiter zu dienen; denn um dieses zu tun, müssen wir doch auf ihr Niveau "hinuntersteigen". Dazu kommt die stets lauernde Gefahr, dass wir selbst durch diesen unseren "geringeren" Freund beeinflusst werden könnten. So sträuben wir uns, zu "Wegweisern" zu werden, weil wir dann die Geborgenheit unserer Häuser aufgeben und unseren Platz ständig an den Straßenkreuzungen einnehmen müssen. Trotzdem obliegt es jedem einzelnen unter uns, ein "Wegweiser" zu sein; denn damit erfüllen wir wahrhaft den Zweck unseres Daseins, wie es auch der Baal Schem Tow ausdrückt (siehe HaJom Jom, 5. Ijar): "Eine Seele mag in diese Welt heruntergebracht werden, um 70 oder 80 Jahre zu leben, mit dem alleinigen schließlichen Zweck, nur einem einzigen anderen Juden beizustehen, materiell oder – insbesondere – spirituell."
Genau so wie jeder Jude verpflichtet ist, seinem Nächsten in materieller Beziehung beizustehen (selbst der Ärmste kann Möglichkeiten finden, um seinem Bruder Mildtätigkeit zu erweisen), so sind wir auch alle in spirituellen Dingen zutiefst verpflichtet, unseren weniger gut informierten Brüdern zu helfen und sie anzuleiten. So müssen wir alle uns immer an die Straßenkreuzungen stellen, um solchen Glaubensgenossen die Wege zu zeigen, die zu den "Städten der Zuflucht" der Tora führen: den Weg in die Synagoge, den Weg zu einem koscheren Heim und der Weg zu einer vollständigen Tora-Erziehung ihr er Kinder.
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