Zwei Propheten waren sich in ihrer Art sehr ähnlich und doch unterschiedlich. Mose sagt in unserem Wochenabschnitt: Lauschet ihr Himmel und höre die Erde1 und Jesaja sagte: Höret ihr Himmel und lausche die Erde.2

Der hebräische Begriff für Lauschen (האזינו) drückt eine Nähe zum Zuhörer aus, während Hören (ותשמע) Distanz zum Zuhörer ausdrückt. Anhand dessen erklären die Thorakommentatoren,3 dass Mose dem Himmel nahe und der Erde fern war, denn an den Himmel wendete er sich mit „lausche“ und an die Erde mit „höre“. Jesaja hingegen war dem Himmel fern und der Erde nahe.

Aus jeder Sache in der Thora kann man etwas lernen. Dass Mose dem Himmel nahe und der Erde fern war, ist nicht nur eine Erzählung, sondern auch eine Anweisung an uns, die jeder Jude in seinem Leben anzuwenden hat. Dem Himmel nahe und der Erde fern zu sein soll jeder Jude anstreben.

„Himmel“ und „Erde“ beim Menschen

Andererseits müssen wir auch von der Art der Prophezeiung Jesajas eine Lehre ziehen, nämlich dem Himmel fern und der Erde nahe zu sein. Wir müssen sogar davon ausgehen, dass die Prophetie Jesajas in einem gewissen Punkt höher steht, als die Prophetie Moses, denn es kann nicht sein, dass die Thora von jedem Juden erwartet, dem Himmel nahe und der Erde fern zu sein und der Prophet Jesaja dieses Niveau nicht erreichte. Deshalb muss die Prophetie Jesajas „dem Himmel fern und der Erde nahe sein“ auch einen gewissen Vorteil gegenüber Moses Prophetie aufweisen.

Tatsächlich erklärt die Lehre der Chassidut,4 dass obwohl Moses prophetische Fähigkeiten viel größer waren, als die aller anderen Propheten, Jesaja inkludierend, dennoch ihre Prophetie in einem gewissen Punkt höher war, als die von Mose. Und somit gibt es auch eine Besonderheit bei der Prophetie Jesajas „dem Himmel fern und der Erde nahe zu sein“.

„Himmel“ symbolisiert das Thorastudium, welches der Mensch mit seinem Verstand erfasst. Der Verstand ist das Höchste beim Menschen, sein „Himmel“. „Erde“ symbolisiert die Mitzwot, welche der Mensch mit seinen „niedrigeren“ Kräften erfüllt, nämlich der Tatkraft. Der hauptsächliche Sinn der Mitzwot liegt darin, das Irdische in die Heiligkeit miteinzubinden.5 Wer das Thorastudium zu seiner Hauptbeschäftigung macht, ist „dem Himmel nahe“ und wer in seinem Leben die Betonung auf die Mitzwot legt, ist „der Erde nahe“.

Zwei Stadien und eine Hauptsache

Doch jeder Jude sollte in seinem Leben sowohl dem Himmel nahe, als auch der Erde nahe sein. Dies sind zwei Stadien im Leben:

Zuerst hat er von Mose zu lernen, dem Himmel nahe und der Erde fern zu sein. Er sollte nicht übereilig sein, sich mit der Weltlichkeit zu beschäftigen, um das Irdische in die Heiligkeit miteinzubeziehen. Zuallererst soll er sich voll und ganz dem Thorastudium widmen, bis er spürt, dass die Heiligkeit der Thora im sehr nahe und die Weltlichkeit fremd geworden ist.

Doch als nächster Schritt, nachdem ihm die Thora zu G-tt sehr nahe gebracht hat, darf er nicht vergessen, dass die Hauptsache „die Erde“ ist. Er kam nicht auf die Welt, um „im Himmel zu bleiben“, sondern um sich mit der Weltlichkeit auseinanderzusetzen, damit auch sie einen Hauch von G-ttlichkeit, einen Hauch vom Himmel, abbekommt. Deshalb kommt die Zeit, in der man dem Himmel fern und der Erde nahe sein muss. So sagten unsere Meister: „Nicht das Studium ist die Hauptsache, sondern die Tat.“6

Der Prophet der Erlösung

Heutzutage verstehen wir nicht die herausragende Besonderheit der Mitzwot, der Taten. Die seelische Verbundenheit mit G-tt, die man durch das Thorastudium erreicht, erscheint uns viel höher, als das Erfüllen der Mitzwot und die Heiligung der Welt, welche sich doch mit der materiellen Welt beschäftigen. Doch sobald der Maschiach kommt, wird sich offenbaren, welch hohen Stellenwert die Mitzwot wirklich haben.

Dies ist auch der Grund, warum gerade Jesaja, dessen Prophetie sich vordergründig mit der vollkommenen Erlösung beschäftigt, uns beibringt „dem Himmel fern und der Erde nahe zu sein“.

(Likutej Sichot, Band 9, Seite 204)