Es gibt zwei generelle Wege auf der Welt vorwärts zu kommen. Die eine Möglichkeit ist „von unten nach oben“ – ein Schritt nach dem anderen auf der Leiter des Erfolgs und in Einhaltung der üblichen Richtlinien. Es besteht aber auch die Möglichkeit eines sprunghaften Vorankommens, direkt zum Ziel ohne sich durch die Richtmaße des Standards zu beschränken.

Diesbezüglich gibt es das bekannte Sprichwort des Rabbi haMarasch1: „Gemäß den Richtlinien der Welt soll man, wenn ein Vorwärtskommen von unten (auf übliche Weise) nicht möglich ist, es von oben (auf nicht übliche Weise) angehen. Doch ich sage, dass man es im Vorhinein von oben angehen soll!“2 Das ist der zweite Weg ans Ziel zu gelangen – „die Sprossen der Leiter“ zu überspringen und direkt oben anzukommen.

Nahe dem Himmel

Auf diesen Grundsatz treffen wir in unserem Wochenabschnitt. Er beginnt mit den Worten Moses: Lauschet ihr Himmel und höre die Erde.

Unsere Meister machen darauf aufmerksam3, dass Mose sich zuerst an die Himmel wendet und zwar mit dem Ausdruck „lauschet“ (was nur bei gegenseitiger Nähe von Nutzen ist), und erst dann an die Erde, dass sie ihn „höre“ (notwendig bei bestehender Distanz). Unsere Meister lernen daraus, dass Mose, obwohl auf der Erde lebend, dem Himmel nahe war und der Erde fern.

Darin sehen wir den erwähnten Grundsatz: Der eine Weg ist es von der „Erde“ Schritt für Schritt in den „Himmel“ zu steigen. Doch Mose lehrt uns den zweiten Weg, nämlich sich gleich in den „Himmel“ zu katapultieren. Die jüdische Mystik lehrt, dass jeder Jude einen Funken Moses in seiner Seele trägt, und deshalb hat jeder die Möglichkeit im Vorhinein dem „Himmel“ (dem Spirituellen) nahe zu sein (wie im Folgenden durch Beispiele veranschaulicht wird).

Einfach nur genießen

Dieser Grundsatz tritt besonders stark am Schabbat zu Tage. Die sechs Wochentage werden von einer schrittweisen Arbeit geprägt. Zuerst gibt es eine Arbeitsidee, dann folgen die Pläne und Vorbereitungen, die Fertigung, bis zur Vollendung, welche dem Menschen seine Befriedigung (das Ziel) bringt. Doch der Schabbat versetzt den Menschen im Vorhinein in den Zustand, „als ob seine gesamte Arbeit bereits vollbracht wurde“.4 Er befindet sich gleich im Status des vollkommenen Genusses und der Befriedigung ohne dafür eine schrittweise Arbeit geleistet haben zu müssen.

Sei nicht kleinlich!

„Im Vorhinein im Himmel zu sein“ findet seinen Ausdruck auch im tagtäglichen G-ttesdienst des Juden, und zwar in der Ausübung und in den Motiven für das Erfüllen der Mitzwot.

In der Ausübung: Wenn es um das Vollbringen von Wohltätigkeit und Mitzwot geht, muss man (manchmal) „einfach drauf los gehen“, ohne sich von diversen Überlegungen wie „was werden die anderen sagen?“ oder „bin ich denn schon auf diesem Niveau?“ oder „ein wenig Zedaka ist schon genug!“ einschüchtern oder in seiner Tat beschränken zu lassen.

In den Motiven: Wenn man von „unten nach oben“ vorwärts kommt, erfüllt man die Mitzwot zuerst für kleinliche Belohnungen (wie materiellen Segen), und schrittweise besteigt man die Leiter der Erkenntnis und vollbringt sie für eine höhere Belohnung (Garten Eden). So verhält es sich auch mit dem Nichtübertreten von Verboten. Zuerst meidet man sie aus Angst vor Strafe in dieser Welt, dann kommt man zur Erkenntnis, dass die Strafe in der kommenden Welt härter ist und man deswegen die Verbote nicht zu übertreten hat. Doch man soll sich im „Vorhinein oben befinden“, und dann denkt man überhaupt nicht an irgendeine Belohnung für die Mitzwot, sondern „macht die Wahrheit einzig und allein der Wahrheit wegen.“5

(Thorat Menachem des Jahres 5752, Band 1, Seite 68)