In unserem Wochenabschnitt gebietet die Thora: Wenn du ein neues Haus baust, mache um sein Dach ein Geländer … denn sonst wird der Stürzende von ihm stürzen.1 Im Vers wird zweimal das Wort „stürzen“ erwähnt (Verb und Nomen). Daraus lernen unsere Meister: „Er war es wert zu stürzen; dennoch aber soll sein Tod nicht durch dich herbeigeführt werden, denn man führt etwas Gutes durch einen Reinen und eine Strafe durch einen Schuldigen herbei.“2

Außer der einfachen Erklärung dieses Gebots, können wir daraus auch eine Lehre für unseren Dienst zu G-tt ziehen: „Das Dach“, ein hoher Platz, symbolisiert Hochmut. Und die Thora gebietet: „Mache ein Geländer um das Dach“ – zäune deine Hochmut ein; halte sie in Grenzen, bis zur gänzlichen Ausmerzung, denn von ihr entspringen alle schlechten Eigenschaften und sie ist Ursache für jeden spirituellen Absturz3 – „wird der Stürzende von ihm stürzen.“

Fall nicht!

Man könnte glauben, dass es nur ein Problem mit „profanem“ Hochmut gäbe. Doch Hochmut durch die Thora ist erlaubt. „Ich suche Ehre und bin besser als andere, nicht wegen mir, sondern um der Thora , die ich erfülle und lerne, Wichtigkeit zu geben“, könnte der Mensch denken Eine Andeutung darauf mag er sogar in den Schriften finden: Und sein Herz ging stolz auf den Wegen G-ttes.4 Und es gibt ja auch diesbezüglich eine Talmudstelle: „Der Thoragelehrte soll 1/64 Hochmut haben.“5

Doch das Gebot „Mache dir ein Geländer“ sagt klar und deutlich: Auch Hochmut durch die Thora braucht eine Eingrenzung. Die Thora ist zwar heilig, doch was ist uns heiliger, als der Tempel und sogar sein Dach musste ein Geländer haben! Auch wenn man den höchsten Grad an Heiligkeit erreicht hat, muss man sich vom Hochmut distanzieren. Nur dadurch ist man vor einem spirituellen Fall geschützt.

Bring nicht deinen Nächsten zu Fall!

Dies ist nur ein Aspekt dieses Gebots. Es gibt einen zweiten Aspekt, nämlich zu verhindern, dass jemand anderer zu Schaden kommt. So wie in der einfachen Bedeutung ein Geländer am Dach notwendig ist, um einen Absturz zu verhindern, muss man auch im Spirituellen ein Geländer errichten, damit ein anderer Jude nicht spirituell abstürzt.

Sobald ein Jude einen anderen Juden zu G-tt näherbringen möchte, ist das so, als würde man ein „neues Haus“ bauen, ein weiteres „Haus“, in dem G-tt weilen kann. Man braucht unbedingt ein „Geländer“, damit er dabei erfolgreich ist und er, G-tt behüte, nicht das Gegenteil bewirkt.

Dies geht nur, wenn er aus reinem Herzen seinen Nächsten zu einer Mitzwa bewegen möchte, weil er ihm wichtig ist, ohne einen Hauch eigener Interessen. Doch sollten sich in seine scheinheiligen Absichten auch Elemente des Selbstprofits und des Hochmuts mischen, wird der Nächste für seine Botschaften nicht wirklich empfänglich sein und dies könnte ihn sogar abstoßen und bei ihm einen spirituellen Absturz verursachen. Deshalb müssen der Hochmut und das Egogefühl eingegrenzt werden.

Keine Ausreden

Doch man könnte meinen: Aus dem Vers lernen wir aber auch, dass jemand der stürzt, es auch wert war zu stürzen. Denn wäre er es würdig die Mitzwot zu erfüllen, sollte es ihn nicht irritieren, wenn ihn jemand aus Eigeninteresse zu den Mitzwot näherbringt. Darauf erwidert die Thora: Er war es wert zu stürzen; dennoch aber soll sein Tod nicht durch dich herbeigeführt werden – du musst dich bemühen, dass er nicht wegen dir abstürzt.

Man muss also auf jeden Fall ein „Haus bauen“, einen Juden zu G-tt näherbringen; doch es ist auf jeden Fall auch ein „Geländer auf dem Dach“ notwendig – dies soll ohne Hochmut und Eigeninteresse gemacht werden. Nur so wird man bei dieser heiligen Aufgabe wirklich erfolgreich sein!

(Likutej Sichot, Band 24, Seite 137)