"Es geschah im Laufe dieser zahlreichen Tage und der König von Ägypten starb und die Kinder Israels seufzten vor lauter schwerer Arbeit [hebr.: Awoda] und schrieen auf. Ihre Klagen stiegen auf zu G-tt... und Er hörte ihre Seufzer." (Exodus 2:23-24)
Der Talmud sagt: Was ist Arbeit [Awoda] im Herzen? Wir meinen damit das Beten, – denn es steht im Schma Jisrael geschrieben: "Du sollst Ihm mit deinem ganzen Herzen dienen." Aber die Halacha verlangt, dass wir das Gebet mit unseren Lippen zu einer bestimmten Zeit ausführen. Ob es uns dabei gelingt, auch mit unseren Gedanken bei der Sache zu sein, ist eher Glücksache. Wurde uns nicht schon viele Male gesagt, dass es besser sei, ohne Herz zu Dawnen, als nur im Herzen?
Doch auch der menschliche Verstand begreift, dass G-tt das Herz des Menschen begehrt, und dem Gebet desjenigen, der das Gesagte auch selbst meint, eher zuhört. Damit ein Gebet von Herzen kommt, müssen wir die Notwendigkeit fühlen. So ist z.B. das glühendste Gebet von in der Wüste festsitzenden Touristen, ihren Durst zu löschen. Diese Leute würden alles für ein Glas Wasser geben.
Der Talmud spricht im Traktat Joma (36a) von der Arbeit des Hohepriesters am Jom Kippur, wenn er ins Allerheiligste hineingeht und darum betet, dass der Ewige die Gebete der Nachhause-Reisenden nicht annehmen soll, - soweit diese um Verschont-Bleiben von Regen auf ihrer Rückreise beten.
Frage: Braucht es dazu ein Gebet des Hohepriesters? Antwort: Ja, denn das Gebet der Reisenden, die nicht einregnen wollen, kommt von ganzem Herzen und würde deshalb erhört, wenn der Hohepriester nicht eingreift. Das Leben der Bewohner Israels ist aber vom Regen abhängig.
Frage: Warum würde der Ewige den Regen zurückhalten, nur um ein paar Reisenden, die ohne nachzudenken um den Luxus "trocken anzukommen" baten?
Antwort: Weil sie inbrünstig darum gebetet haben und 100%ig von Ihm abhängig sind.
Da wir nur hier in der einzigen Welt durch unser Handeln etwas bewegen können, sollten wir das, was wir von ganzen Herzen wünschen, selber versuchen. Bevor wir den Ewigen um Hilfe bitten, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun. Einem Menschen kann nicht geholfen werden, wenn er sich nicht selbst darum bemüht. Das Gebet ist kein Ersatz für konkrete Taten während unseres Aufenthaltes in der physischen Welt, wie z.B. Arbeiten, zum Arzt gehen, eine Behandlung durchführen. Erst wenn wir unsererseits das Maximum getan haben, können wir G-ttes Hilfe erwarten. Wenn jemand einen schweren Sack tragen muss, ihn aber einfach auf dem Boden liegen lässt und einen Passanten darum bittet, diesen Sack zu tragen, wird keiner anpacken. Doch befindet sich der Sack mit der offensichtlich viel zu schweren Last bereits auf dem Rücken des Trägers, wird er viel eher Hilfe erhalten. Denn wenn die Leute sehen, dass dieser Mensch sein Bestes zur Verwirklichung seines Projekts hergibt, und sogar darüber hinaus geht, dann versteht jeder, wie lebensnotwendig die Sache ist und wird zu helfen bereit sein.
Die Seele hat als Teil von G-tt genau die gleichen Wünsche wie Er und sehnt sich eigentlich genau nach dem, was auch Er so sehr begehrt und im formalen Gebet steht, das uns die Männer der Großen Versammlung zusammenstellten. Doch nachdem die Seele in einen physischen Körper gesperrt wurde, sind die meisten Menschen sich dieses Verlangens nicht wirklich bewusst, und vermögen nicht im Herzen zu fühlen, was sie im Gebet sagen. Daher sollten wir den Kontakt zu G-tt zusätzlich durch ein persönliches Gebet verstärken, indem wir Ihn um etwas uns sehr am Herzen Liegendes bitten. Hier geht es um ein Gebet, das wir zusätzlich zu den vorgeschriebenen Gebeten sagen, die uns die Männer der Großen Versammlung zusammengesetzt haben. Wenn wir diese Bitte ebenfalls in die Amida einfügen, so ist es erlaubt, diese Bitte in die Bracha "Schma Kolejnu" einzubringen, - dort wo der Alleinbetende das spezielle Regengebet gegen Dürre oder das Anejnu-Gebet an Fasttagen einfügt, oder am Schluss der Gebetes, in der kleinen Lücke nach dem ersten jihiu lerazon und hafer azatam vekalkel machaschavtam und ase lemaan Schmech. Dort bietet sich ebenfalls die Möglichkeit, persönliche Wünsche ins Gebet einzubringen.
Dieses persönliche Gebet sollte sich auf ein einziges Thema beschränken, denn sonst könnte unser Wunsch als nicht wichtig genug erscheinen, ihm ein ganzes Gebet zu widmen. Wir kennen dieses Gesetz aus der Physik, indem wir z.B. Sonnenstrahlen durch eine dazu geeignete Linse auf einen Punkt versammeln, um dort ein Feuer zu entfachen. Je konzentrierter unsere Bitte ist, umso mehr Kraft hat sie, und umso mehr Chancen, erhört zu werden.
Nun verstehen wir auch die Bedeutung, als "die Kinder Israels seufzten vor lauter Arbeit": Ihre Gebete kamen von eben dieser Arbeit: Als sie einsahen, dass sie nie aus eigner Kraft aus ihrer Situation herauskommen, verstanden sie auch, dass sie sich nie von der Arbeit befreien können. Erst als sie ihre 100%ige Abhängigkeit von G-tt begriffen, erhielten ihre Gebete auch die Kraft, bis zu Ihm hinaufzusteigen, - und erst dann hörte Er ihre Seufzer. Solange die Kinder Israels sich nicht selbst abmühten und nicht in ihrem ganzen Wesen fühlten, dass sie auf niemanden anderen als auf den Ewigen zählen konnten, wurden auch ihre Bitten nicht ernst genommen.
In den Psalmen (102) finden wir: "Ein Gebet für den Armen, wenn er (mit Traurigkeit) umhüllt ist." Der Sohar erklärt, dass das Gebet des Armen unverzüglich beantwortet wird, da es ein aus der Tiefe des Herzens kommendes Gebet ist.
Wir lernen hier, dass wir uns bei unserem Gebet auch der Notwendigkeit unserer Bitte bewusst sein sollten. Das bietet uns die Gelegenheit, unsere moralische Prioritätenliste stets genau zu überdenken: „Was hat für uns wahre Bedeutung?“ Der große Vorteil des Gebetes besteht im Interagieren mit G-tt. Somit beeinflussen uns auch Seine Forderungen und Seine Weltanschauung. Wir wissen eigentlich ganz gut, was den Ewigen erfreuen und Ihn dazu motivieren könnte, uns entgegenzukommen. Wahre Notwendigkeit zeigt sich auch, wenn wir unsere Prioritätenliste der Seinigen anpassen und dadurch zu bessern Menschen werden, die ebenfalls das Bedürfnis fühlen, so viel wie möglich geben zu können und Seine G-ttlichen Eigenschaften zu adoptieren.
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