Vor etwa 30 Jahren besuchte ein amerikanischer Rabbiner Miami und hielt einen Vortrag über das Leben und die Leistungen des berühmten Chafez Chaim (Israel Meir HaCohen Kagan, 1838–1933), der ein bescheidenes Leben als Schuhmacher im polnischen Dorf Radin führte und dennoch in der gesamten jüdischen Welt als großer Gelehrter, Zaddik und Vorbild galt.

Bei einer Geschichte zögerte er jedoch, weil er nur einen Teil von ihr kannte. Aber dann erzählte er sie doch, weil er fand, selbst eine unvollendete Geschichte über den Chafez Chaim enthalte eine wichtige Botschaft.

Es ging um einen Teenager in der Jeschiwa des Chafez Chaim, der am Schabbat beim Rauchen ertappt worden war. Lehrer und Schüler waren entsetzt, und einige Lehrer wollten ihn der Schule verweisen. Aber der Chafez Chaim ließ den Jungen zu sich bringen.

An diesem Punkt unterbrach der Rabbiner die Geschichte und sagte: „Ich weiß nicht, was der Chafez Chaim zu dem Jungen sagte. Ich weiß nur, dass sie sich ein paar Minuten lang unterhielten. Ich würde vieles geben, um zu erfahren, was er diesem Jungen mitteilte, denn ich habe gehört, dass dieser den Schabbat nie wieder entweiht hat. Es wäre wundervoll, wenn ich diese Botschaft allen vermitteln könnte, um sie zu ermutigen, den Schabbat einzuhalten.“ Dann fuhr der Rabbiner mit seinem Vortrag fort.

Nach dem Vortrag leerte sich der Saal. Nur ein älterer Mann blieb in Gedanken versunken sitzen. Von Weitem sah es aus, als zittere und weine er. Der Rabbiner ging zu ihm und fragte: „Kann ich Ihnen helfen?

Der Mann antwortete: „Wo haben Sie die Geschichte von der Zigarette am Schabbat gehört?“ Er schaute nicht auf und war immer noch unruhig. „Ich weiß es nicht“, sagte der Rabbiner. „Ich hörte sie vor einiger Zeit, aber ich erinnere mich nicht, von wem.“ Jetzt schaute der Mann den Rabbiner an und sagte leise: „Ich war dieser Junge.“ Dann bat er den Rabbiner, mit ihm hinauszugehen, und erzählte ihm diese Geschichte:

Es geschah in den zwanziger Jahren, als der Chafez Chaim über achtzig Jahre alt war. Ich fürchtete mich davor, zu ihm zu gehen. Doch als ich in seinem Haus war, schaute ich mich ungläubig um, denn ich befand mich im Haus eines Armen. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein so berühmter Mann damit zufrieden war, unter solchen Bedingungen zu leben.

Plötzlich war er da. Er war erstaunlich klein. Damals war ich ein Teenager, aber er reichte mir nur bis zu den Schultern. Er nahm meine Hand behutsam in seine Hände und führte sie an sein Gesicht. Dann schloss er kurz die Augen.

Als er sie wieder öffnete, sah ich Tränen darin. Dann sagte er verwundert und traurig zu mir: „Schabbat!“ und begann zu weinen. Immer noch hielt er meine Hand umklammert, und während er weinte, wiederholte er verwundert: „Schabbat, der heilige Schabbat!“

Mein Herz klopfte, und ich bekam noch mehr Angst. Tränen liefen ihm über die Wangen, und eine tropfte auf meine Hand. Ich dachte, sie werde mir ein Loch in die Haut brennen. Wenn ich heute daran denke, spüre ich immer noch, wie heiß diese Träne war. Ich kann nicht beschreiben, wie schrecklich es war, den großen Zaddik weinen zu sehen. Er sprach nur diese paar Worte; aber ich spürte, dass er nicht wütend war, sondern betrübt und furchtsam – wegen der Folgen meiner Tat.

Der alte Mann strich mit einem Finger über die Hand, auf der die kostbare Träne eine unsichtbare Narbe hinterlassen hatte. Sie erinnerte ihn bis ans Ende seines Lebens daran, dass er den heiligen Schabbat einhalten musste.


Biografische Anmerkungen: Rabbi Israel Meir HaCohen Kagan wurde nach dem Titel eines seiner vielen einflussreichen Bücher „der Chafez Chaim“ genannt und war einer der wichtigsten und meistgeliebten rabbinischen Gelehrten und Vorbilder des 20. Jahrhunderts. Zu seinen anderen Werken gehören Mischna Berura, ein autoritatives, fast allgemein anerkanntes Kompendium des jüdischen Gesetzes, und Schmirat HaLaschon, das vom richtigen und falschen Reden handelt.