Der österreichische Kaiser hatte einmal einen jüdischen Minister namens Simson. Er hatte großen Respekt vor ihm und genoss die Gesellschaft des Rabbiners aus Wien. Eines Tages unterhielten sie sich über die Juden.
„Wie kommt es“, fragte der Kaiser, „dass ein so kluges, hart arbeitendes Volk immer noch im Exil lebt? Kein anderes Volk ist so ausdauernd wie die Juden. Das ergibt keinen Sinn.“
Der Rabbiner seufzte, ehe er antwortete: „Majestät, leider muss ich sagen, dass der Grund sinnloser Hass und Neid ist. Er verhindert unsere Erlösung.“
Der Kaiser nickte, obwohl er mit dieser Antwort nicht ganz zufrieden war.
Einmal, in einem besonders kalten Winter, ging der Kaiser auf die Jagd. Er drang immer tiefer in den Wald ein, bis er sich verirrte. Es wurde Nacht, und der Kaiser war allein in der pechschwarzen Dunkelheit. Da sah er in der Ferne ein schwaches Licht und ging darauf zu. Aber ein Fluss versperrte ihm den Weg. Ihm blieb nichts anderes übrig, als ans andere Ufer zu schwimmen. Er kam in ein kleines Dorf und klopfte an die Türen.
Aber die Dorfbewohner guckten misstrauisch durch den Türspalt und dachten: „Nur ein Verrückter läuft in dieser Kälte mit nassen Kleidern herum.“ Niemand wollte einen nassen, zerzausten Fremden in sein Haus lassen.
Der Kaiser war am Rande der Verzweiflung. Doch da öffnete plötzlich ein Jude seine Tür, der beim Anblick des armen Mannes Mitleid empfand. Er lud ihn zu sich ein und brachte ihm ein heißes Getränk.
„Vielleicht ist er ein Räuber!“, hörte der Kaiser die Frau des Juden flüstern.
„Egal“, erwiderte ihr Mann, „er ist ein Mensch.“
Der Kaiser bat um Essen, und der Jude servierte ihm eine ganze Mahlzeit. „Er wird bestimmt nicht dafür zahlen“, klagte die Frau leise.
„Egal, er ist ein Mensch“, entgegnete ihr Mann.
Der Kaiser ging zum Ofen, um seine kalten Glieder zu wärmen. Er nahm den Pelzmantel des Juden vom Haken und fragte, ob er ihn anziehen dürfe. „Pass auf“, warnte die Frau ihren Mann, „er läuft bestimmt damit weg. Es ging ihm nur darum, deinen Mantel zu stehlen.“
„Mach dir keine Sorgen“, sagte der Jude. „Ich bleibe die ganze Nacht auf und beobachte ihn.“ Innerhalb weniger Minuten fiel der Kaiser in tiefen Schlaf.
Am nächsten Morgen fragte er, wo er einen Wagen und einen Fahrer mieten könne. Der Jude sagte, er besitze einen Wagen und sei gerne bereit, seinen Gast an sein Ziel zu bringen. „Sei vorsichtig“, flüsterte ihm seine Frau zu, „vielleicht will er dich umbringen und Pferd und Wagen stehlen.“
Aber der Jude kümmerte sich nicht darum. Die beiden Männer stiegen auf den Wagen und brachen auf.
„Wo soll ich dich absetzen?“, fragte der Jude.
„Im Palasthof“, antwortete der Fremde.
„Aber das ist verboten“, wandte der Jude beklommen ein. Man wird uns bestrafen!“
Doch der Fremde versicherte ihm, dass nichts dergleichen geschehen werde. Als sie die Tore des Palastes erreichten, sprang der Fremde vom Wagen und lief hinein, immer noch im Mantel des Juden. Sofort war der Wagen von Soldaten umzingelt, die den Juden festnahmen.
„Meine Frau hatte recht“, dachte der Jude. „Er hat nicht nur meinen Mantel gestohlen, sondern mich auch noch in große Schwierigkeiten gebracht.“
Der zitternde Jude wurde vor den Kaiser geführt, der jetzt seine üblichen Gewänder trug. Der Jude sprach einen Segen, als er den Monarchen sah, senkte dabei aber den Blick. „Erkennst du mich nicht?“, fragte der Kaiser ihn.
„Ich habe Eure Majestät noch nie gesehen“, stammelte der Jude.
„Aber ich kenne dich gut“, erwiderte der Kaiser. „Ich weiß, wo du lebst. Ich kann sogar dein Haus beschreiben.“ Und schon beschrieb er die schlichten Möbel des Juden.
„Niemand ist so weise wie unser Kaiser“, murmelte der Jude.
„Ich habe eine ganze Nacht in deinem Haus verbracht, aber du erkennst mich nicht?“, wunderte sich der Kaiser. Dann erzählte er dem Juden, was am Tag zuvor geschehen war und dass nur der Jude ihm die Tür geöffnet und geholfen habe. „Was schulde ich dir für deine Gastfreundschaft?“, fragte der Kaiser. „Sind zehn Silbermünzen genug?“ Der Jude schwieg.
„Fünfzig? Hundert?“, fuhr der Kaiser fort. Aber der Jude machte den Mund nicht auf. „Tausend? Zehntausend? Oder willst du ein großes Gut mit Feldern und Obstgärten?“. Der Jude stand nur da und schwieg. Der Kaiser verlor die Geduld.
„Wenn du mir nicht antwortest, bekommst du keinen Pfennig mehr, als du für mein Essen und meine Unterkunft ausgegeben hast!“ Jetzt fand der Jude seine Sprache zurück.
„Majestät“, sagte er, „ich habe eine Bitte. Ich verdiene meinen Lebensunterhalt mit dem Kauf und Verkauf von Kurzwaren. Aber ein anderer Jude aus dem Nachbardorf kommt jede Woche in unser Dorf und macht mir Konkurrenz. Vielleicht könntet Ihr befehlen, dass er sich von meinen Kunden fernhält.“
Der Kaiser schüttelte erstaunt den Kopf. „Der Rabbiner hatte recht“, sagte er. „Neid ist die Ursache des jüdischen Exils. Dieser Jude hätte ein reicher Grundbesitzer sein können; aber ihn interessiert nur, wie er seinen Konkurrenten los wird!“
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