Die Reichsversammlung wurde am 15. Dezember 1544 in Worms eröffnet. Ein Teilnehmer schlug vor, die Juden aus ganz Deutschland zu verbannen, weil sie gefälschte Münzen in Umlauf gebracht hätten. Sowohl Katholiken als auch Protestanten stimmten zu.

Doch plötzlich meldete sich ein unerwarteter Verteidiger der Juden, der neue Leiter der deutschen Zünfte, Minister Wolfgang Schutzbar, den die Fürsten und Minister sehr respektierten. Er erhob sich und sagte: „Geehrte Herren und Freunde, ich kann Eurer Entscheidung, die Juden aus Deutschland zu verbannen, nicht zustimmen. Seine Majestät der Kaiser ist nicht nur der deutsche Kaiser, sondern auch der Kaiser des Heiligen Römischen Reiches. Er ist der Herrscher der ganze Christenheit, und es ist seine Pflicht, die Juden im Heiligen Römischen Reich leben zu lassen, zum Gedenken daran, dass der Mann, den alle Christen für ihren Retter erachten, ein Jude war. Seine Majestät der Kaiser wünscht einen solchen Beschluss nicht und wird ihn auch nicht bestätigen.“

Die kurzen Worte des Ministers machten tiefen Eindruck auf die Versammlung, und der Beschluss, die Juden zu verbannen, wurde aufgehoben. Am nächsten Tag gingen Rabbi Josselmann von Rotheim, der auf der Versammlung gewesen war, und die Rabbiner und Laien der Wormser Gemeinde zu dem Haus, in dem Minister Schutzbar wohnte, und baten um eine Audienz, die ihnen freundlich gewährt wurde.

„Edler Herr“, begann Rabbi Josselmann, „wir sind gekommen, um Euch von Herzen für Eure noble Ansprache zugunsten unserer jüdischen Brüder zu danken. Dadurch habt Ihr uns vor einem bitteren Schicksal bewahrt. Obwohl seine Majestät ein solches Dekret keinesfalls unterzeichnet hätte, denn er ist uns gnädig und schützt uns, hätten wir nach einem solchen Beschluss große Not leiden müssen. Darum bitten wir Euch, zum Zeichen unserer Dankbarkeit dieses Geschenk anzunehmen.“

„Ich weiß nicht, wovon ihr redet“, sagte der Minister und zuckte erstaunt mit den Schultern. „Habe ich gestern vor der Reichsversammlung zugunsten der Juden gesprochen? Das habe ich zwar schon von mehreren Leuten gehört, aber ich habe an der Versammlung gar nicht teilgenommen, weil ich krank war und zu Hause blieb. Meine Familie und meine Diener können bezeugen, dass ich gestern keine Minute außer Haus war.“

Als Rabbi Josselmann und seine Begleiter das hörten, waren sie verblüfft. „Edler Herr“, sagte der Rabbi, „Erlaubt mir, Euch zu widersprechen. Ich war selbst anwesend und habe gesehen, wie Ihr meine Brüder, die Juden, verteidigt habt. Ihr sagtet, es sei die Pflicht des Reiches, die Juden innerhalb seiner Grenzen leben zu lassen. Herr, habt Ihr vielleicht einen Zwillingsbruder?“

„Das ist alles sehr seltsam“, erwiderte der Minister. „Ich habe keinen Zwillingsbruder, und keiner meiner Brüder ist derzeit in Worms. Die Sache muss untersucht werden. Vielleicht war es ein Schwindler – aber das ist unmöglich. Die Fürsten und Minister hätten ihn sofort durchschaut. Sie kennen mich alle gut.“

Plötzlich leuchteten Rabbi Josselmanns Augen auf, als habe er das Rätsel gelöst. „Edler Herr, liebe Brüder“, sagte er. „G-tt hat uns zuliebe ein großes Wunder vollbracht. Der Heilige, gepriesen sei er, schickte Elijahu, den Propheten, in Gestalt des verehrten Ministers, der nicht anwesend war, um uns vor der Verbannung zu retten. Ihr müsst wissen, dass solche Wunder auch früher geschahen und dass unsere Weisen im Talmud davon berichten. Dieses Wunder beweist auch, edler Herr, wie sehr G-tt Euch schätzt, denn der Prophet würde gewiss nicht in Gestalt eines Unwürdigen erscheinen. Darum bitte ich Euch, nehmt diese bescheidene Gabe als Ausdruck unserer Dankbarkeit an.“

Der Minister war tief gerührt und nahm das Geschenk entgegen. Die Juden verabschiedeten sich herzlich. Die Geschichte sprach sich schnell herum und hinterließ einen großen Eindruck. Damals glaubten die Menschen nicht so leicht an Wunder; aber niemand konnte die Tatsachen leugnen. Alle Fürsten und Ständevertreter hatten Minister Schutzbar gesehen und gehört. Andererseits bezeugten seine Angehörigen und Diener, dass er das Haus den ganzen Tag lang nicht verlassen hatte. Darum gab es nur eine Lösung des Rätsel: jene, die Rabbi Josselmann genannt hatte.