In diesen Tagen, kurz vor Pessach, dem Feste unserer Errettung aus ägyptischer Versklavung, die dazu führte, dass unser Volk in wahrer Freiheit die Tora entgegennehmen konnte, sind die folgenden Gedanken sehr wohl am Platze:
Erinnerungsvermögen und Vorstellungskraft sind die inneren Fähigkeiten des Menschen, die es ihm ermöglichen, sich mit einem Ergebnis aus der Vergangenheit zu assoziieren und auf solche Weise nochmals die Gefühle und Denkprozesse durchzuleben (oder nachzuvollziehen), die zu jener Zeit maßgebend waren. Denn es ist lediglich in physischer Hinsicht, dass der Mensch an Raum und Zeit gekettet ist; im Bereich des Geistigen gibt es keine räumlichen oder zeitlichen Kräfte die körperlichen überwiegen, desto näher kann man sich an ein vergangenes Ereignis anpassen und um so tiefer daraus Lehre und Ansporn entnehmen.
Über die Wirksamkeit des Sich-Erinnern haben unsere Weisen im Zusammenhang mit dem Verse gesprochen (Esther 9, 28): "Und, diese Tage sollen in Erinnerung behalten und getan werden." Sobald dieser Tage gedacht wird – so haben unsere Weisen dies erklärt –, wird ihre Angelegenheit im Himmel getan. Mit anderen Worten: Die gleichen Einflüsse G-ttlicher Güte, die jene wunderbaren Vorkommnisse von ehedem verursacht haben, werden nochmals dadurch zur Entfaltung gebracht, dass die Menschen sich ihrer erinnern.
Dies ist einer der Gründe dafür, dass uns aufgetragen ist, in jedem Zeitalter und jeden Tag der Befreiung aus Ägypten eingedenk zu sein. Mehr noch: der Jude ist verpflichtet, sich so einzuschätzen und sich so zu führen, als sei er persönlich an diesem Tage aus Ägypten herausgeführt, erlöst und völlig befreit worden.
Denn jeden Tag muss der Jude den Auszug aus Ägypten – "Jeziat Mizrajjim" – selbst vollziehen, und zwar in dem Sinne von "Jeziat Mezarim", das ist das "Entrinnen aus der Enge"; er muss dies dadurch tun, dass er den materiellen und körperlichen Ablenkungen entfliehen, den Hürden und Begrenzungen, die seinem geistigen Selbst durch den Körper und dessen niedere Instinkte auferlegt sind.
Das ergänzende Gegenstück zur "Befreiung aus Ägypten" ist somit die Loslösung der G-ttlichen Seele aus ihrer materiellen Gefangenschaft; und dies muss jeden Tag erfolgen und erlebt werden, fortwährend und gleichbleibend, damit wahre Freiheit – Befreiung aus Versklavung, Befreiung aus Schmerz – sowohl im körperlichen wie im geistigen Sinne daraus ersteht.
Eine solche innere, vom Materiellen losgelöste Freiheit kann nur mit Hilfe G-ttes errungen werden, der da unser Volk aus Mizrajim herausgebracht hat; sie kann nur in einem Leben zur Entfaltung kommen, das durch Tora und Mizwot reguliert ist. Wenn ein Jude diese innere Freiheit erzielt, dann wird er dadurch, einerseits, alle geistige Qual los – den entsetzlichen inneren Konflikt, den wir erwähnt haben – wie auch, andererseits, Versklavung und Schmerz auf physischer Ebene. Dann und nur dann wird ihm wahrhafte Freiheit zuteil, ein Gefühl vollkommener Harmonie und Befriedigung, welches Einleitung und Vorbereitung ist für Freiheit und Frieden allgemein und überall auf der Welt, für die ganze Menschheit.
So sei schon jetzt der Wunsch ausgedrückt für ein koscheres und glückliches Pessachfest, verbunden mit der Hoffnung auf vollständige und wirkliche Erlösung durch das baldige Kommen unseres gerechten Maschiach.
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