Am Schluss der dieswöchigen Sidra Wajikra (Lev. 5, 20-26) diskutiert die Tora die Vorschrift, die eine Person betrifft, der die Obhut einer Sicherheit oder eines Pfandes anvertraut worden ist.

Der Talmud (Eruwin) erzählt, dass R. Jehuda Hannasi (der Fürst) die Gepflogenheit hatte, reiche Männer besonders zu ehren. Beim ersten Blick erscheint ein der artiges Verhalten unverständlich. Warum sollte der Besitz von Reichtümern jemanden mehr ehrenwert machen?

R. Jehudas scheinbar seltsames Verhalten liegt in seinem Verständnis für das wahre Wesen von Reichtum begründet. Güter und jedes andere Besitztum sind in Wahrheit "Pfänder" oder Hinterlegungen, von G-tt der Einzelperson auf ihre kurze Lebensdauer anvertraut. Es muss klar sein, dass eine größere Summe eine größere Vertrauenswürdigkeit und Zuverlässigkeit der betreffenden Person voraussetzt, der das Pfand anvertraut ist. Daher – so schloss R. Jehuda – bezeugt die Tatsache, dass G-tt diesem Mann ein solch großes Vermögen anvertraut oder ihm eine so mächtige Stellung geschaffen hat, dass sein Kredit "gut" ist und der Ewige auf ihn das Vertrauen setzt, dass er seinen Reichtum, seine Macht oder Stellung zum Guten nutzen wird. Dieser Person gebührt daher ganz bestimmt Ehrerbietung.

Die folgende chassidische Geschichte illustriert graphisch die gleiche Idee: nämlich dass Reichtum und Macht von G-tt geschenkt sind, nicht nur um die persönlichen Wünsche des Besitzers zu befriedigen – so edel diese sein mögen – sondern auch anderen zu helfen, sei es durch einfache Wohltätigkeit oder durch Arbeitsbeschaffung.

Ein Anhänger eines der Rabbis von Lubawitsch war ein reicher Geschäftsmann, der jedoch seines betriebsamen und weltlichorientierten Lebens müde war und sich nach mehr Musse sehnte, um diese in Gebet und Studium zu verbringen. Er beschloss, seine Fabrik zu schließen und sich in ein Leben religiösen Inhaltes zurückzuziehen. Er konnte es kaum abwarten, bis er dem Rabbi seinen edlen Plan mitteilen konnte. Schließlich konnte er sich bei seinem großen Meister Gehör verschaffen und ihm seine Pläne darstellen.

Nach kurzem Schweigen sagte der Rabbi streng: "So? Und hattet Ihr dabei das Schicksal der vielen Arbeiter Eurer Fabrik im Auge, wenn Ihr nun das Geschäft schließt? Ist Euch je zu Bewusstsein gekommen, dass G-tt Euch so viel Reichtum nicht nur für Euer Wohl geschenkt hat, sondern auch, damit diese armen Arbeiter Beschäftigung finden können?"

Die Idee, dass Stand und Reichtum von G-tt anvertraute Bürgschaften sind, ist für unsere Zeit sehr wichtig. Wenn nur unsere Großen und unsere Magnaten die große moralische Verantwortung erkennen würden, die ihre Macht und ihr Reichtum ihnen auferlegen!