Am Anfang der dieswöchentlichen Sidra heißt es in der Tora: "Wenn ein Mann ein Opfer von euch dem Ewigen näherbringt ..." (Levitikus 1, 2). Beim ersten Hinblick ist diese Ausdrucksweise schwer zu verstehen. Wenn die Worte "von euch" sich auf den "Mann" beziehen, dann hätte diese Stelle doch eigentlich lauten müssen: "Wenn ein Mann von euch ein Opfer dem Ewige näherbringt ..."
Durch diese Umstellung der Worte beabsichtigt jedoch die Tora, den Begriff der "Opfer" vom Spirituellen her zu erklären, vom Gesichtspunkt der persönlichen Verpflichtung jedes einzelnen, G-tt zu dienen.
Unsere Weisen betonen, dass der Vers "Sie sollen für Mich ein Heiligtum machen, und so werde Ich in ihrer Mitte wohnen" (Exodus 25, 8) auf jede einzelne Person Bezug hat: G-tt befiehlt jedem einzelnen, für sich selbst ein Heiligtum zu errichten, passend und geeignet, dass G-ttes Gegenwart dort weilen kann. Es war selbstverständlich, dass jeder Dienst, der im Tempel ausgeführt wurde, sein Gegenstück auch in jedem individuellen Heiligtum haben musste; und dazu gehörte ganz besonders der allerhöchste G-ttesdienst, nämlich das Darbringen von Opfern.
Der "Alte Rebbe", der Begründer des Chabad-Lubawitsch-Chassidismus, erklärte unseren Vers "Wenn ein Mann ..." wie folgt: "Wenn ein Mann sich der G-ttlichkeit nähren will", dann muss die Bedingung dafür sein: "Von euch ein Opfer dem Ewigen". Man muss Opfer von sich selbst bringen!
Dieser Vers hat zudem zwei Teile: Erstens "von euch", das heißt, von der spirituellen Seite der Person aus; und zweitens (die gleich darauf folgenden Worte) "vom Tiere", das ist die "tierische" Seite im Menschen. Und dann weiter: "vom Rinde und vom Schafe" – das ist die allgemein anerkannte normative Verschiedenartigkeit, der Dualismus in der "tierischen" Seite im Menschen. Die Hauptbetonung liegt dabei nicht auf dem G-ttlichen in seiner Veranlagung, sondern auf der Vervollkommnung seiner tierischen Instinkte.
Wenn im Heiligtum in der Wüste und später im Tempel ein Tier für die Opferung vorbereitet wurde, dann war es vor allen anderen die erste Aufgabe, darauf zu achten, dass es vollkommen und von keinem Makel behaftet war; nur dann war es für G-tt annehmbar. Dasselbe gilt für jedes spirituelle Opfer: Bevor man es unternehmen kann, sich G-tt zu nähern, muss man sich erst vergewissern, dass man selbst vollkommen und ohne Makel ist.
Aus eben diesem Grunde ist es zu erklären, dass auch eine "Untersuchung" stattfinden musste, bevor ein Mann zum G-ttesdienst befähigt war, eine Überprüfung all seiner "Bestandteile", des Charakters, der ganzen Haltung und insbesondere seiner Gedanken, Worte und Taten, um so erst einmal fest zustellen, was nicht in Ordnung war, und es dementsprechend zu korrigieren. Diese Selbstprüfung sollte sehr genau sein, nicht nur oberflächlich; und um dies hiervon das tatsächliche Weiterbestehen seiner darüber klar sein, dass hiervon das tatsächliche Weiterbestehen seiner Seele abhängt. Nur dann wird diese Selbstprüfung gründlich genug sein; und die Entschlüsse, die der Betreffende zu seiner eigenen Verbesserung fasst, werden darin erfolgreich in die Tat umgesetzt werden.
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