Zu Beginn der dieswöchigen Sidra – die sich bekanntlich mit den Tempelopfern befasst – sagt die Tora (Lev. 1, 2): "Ein Mensch, wenn er von euch ein Opfer G-tt nahebringen will ..." Beim ersten Hinblick möchte man meinen, der Ausdruck "von euch" beziehe sich auf "Mensch", also in diesem Sinne: "Wenn einer von euch ein Opfer bringen will ..." Dem widerspricht aber die Reihenfolge der Worte in diesem Vers. Die Tora ist überall und in jedem Einzelfall exakt, und ein scheinbar "verstelltes" Wort ist von großer Bedeutung. Vielmehr muss der zitierte Vers so gelesen werden: "Ein Mensch, wenn er von euch ein Opfer bringen will ..." Offensichtlich muss das Opfer von euch sein. Was bedeutet dies?

Aufgrund einer chassidischen Auslegung wird dieser Vers als ein Kommentar über die innere Natur von "Opfer" angesehen. Als G-tt den Israeliten aufgab, Ihm ein Heiligtum zu errichten, sagte Er (Exodus 25, 8): "Sie sollen Mir ein Heiligtum machen, weil Ich werde in ihnen weilen." Er würde nicht bloß in ihm (also: im Heiligtum) weilen, sondern in jedem Juden. Jeder Jude hat gleichsam ein Heiligtum in sich selbst. Und jeder Bestandteil des physischen Heiligtums, jeder Vorgang darin, hatte sein Gegenstück im Heiligtum der Seele jeder individuellen Person.

Daher gibt es einen inneren Opferakt im Leben jedes Juden, der genau den äußeren Akt widerspiegelt, wie er im Stiftszelt oder im Tempel vorgenommen wurde. Und selbst dieser äußere Akt – obwohl er im Opfern eines Tieres bestand – war in seinem eigentlichen Wesen eine vergeistigte Tat. Eben deshalb bedurfte es dafür der Teilnahme der Kohanim (Priester) und der Begleitmusik durch die Leviten. Der Sohar (III, 39a) erklärt dazu: "Die Kohanim, mit ihrem stillen Dienst und in ihrer Innigkeit, brachten G-ttes Allgegenwart herunter, und die Leviten, mit ihren Gesängen und Lobliedern, führten des Menschen, Seele und seine Opferbereitschaft nach oben."

Diese Beschaffenheit ist der innere Opferakt, und das ist die richtige Bedeutung unseres Verses: "Ein Mensch, wenn er von euch ein Opfer bringen will ..." Das hebräische Wort für "Opfer" ("Korban") ist eigentlich ein "Näherheranbringen" ("Kiruw"). Wenn daher ein Jude sich an G-tt annähern will, dann muss er G-tt ein Opfer seiner selbst bringen, damit dies, wie vorgeschrieben, ein Opfer "von euch" ist.

Danach fährt der gleiche Vers fort: "Von der Rinder-, der Kleinvieh- und der Schafherde sollte ihr euer Opfer bringen."

Im Sinne unseres Gedankenganges besagt dies nun weiter, dass es im "Heiligtum der Seele" zwei verschiedene Opfer gibt. Das erste ist das schon Genannte, nämlich "von euch", das ist: von eurer G-ttlichen Seele. Das zweite ist vom "Vieh"; und damit ist die "tierische" Seele angezeigt, aus der alle körperlichen Impulse hervorgehen, alle Instinkte, die ein Mensch sein eigen nennt, weil er einen Körper hat und zur natürlichen Welt gehört. Es ist aber dieses zweite Opfer, welches den Endzweck allen Opferns darstellt: die Heiligung, die Neuausrichtung des "Tieres" im Menschen.

Dass dem so ist, auch das ist aus dem Wortlaut des Tora-Textes zu ersehen. In unserem Vers ist das Opfer "von euch" als "an G-tt" gemacht beschrieben. Im nächsten Vers dagegen ist die Ausdrucksweise so, dass das Opfer der Tiere "vor G-tt" gebracht wird. Daraus ist zu entnehmen, dass dieses "tierische" Opfer ein Niveau erreicht, das noch "vor G-tt", also gleichsam höher als Er selbst, steht. So darf man auch den Ausspruch aus den Sprüchen Salomons (14, 4) verstehen: "Durch die Kraft des Ochsen gibt es größere Erträge". Wenn das "Tier im Menschen" in den Dienst G-ttes gestellt wird, hat es das Potential, ihn noch näher an G-tt heranzubringen, als es seine G-ttliche Seele allein vermag.

Genau in diesem Sinne schreibt der "Alte Rebbe", der Begründer des ChaBaD-Lubawitsch-Chassidismus, im "Tanja" (Kap. 27): "Wenn die 'andere Seite' (damit sind die Naturinstinkte im Menschen gemeint) bezwungen wird, dann wird die Herrschaft des Heiligen, gelobt sei Er, auf der ganzen Welt enthüllt."