Unsere Parascha Ki Tawo enthält die Aufforderung: „Und du sollst in seinen Wegen gehen!“ Der Mensch soll sich in all seinen Wegen dem Schöpfer zu vergleichen suchen.

Maimonides, Rabbi Mosche ben Maimon, zählt diese Aufforderung zu den 613 Geboten, welche den jüdischen Menschen verpflichten. Dies erscheint auf den ersten Blick unverständlich. Denn Maimonides selbst stellt an einer anderen Stelle in seinem Werk die Regel auf, dass nur diejenigen Gebote zu den 613 gezählt werden, welche eine spezifische Handlung vom Menschen erfordern und nicht diejenigen, welche allgemeiner Natur sind. Welche spezifische Forderung wird mit den Worten: „Du sollst auf seinen Wegen gehen!“ gestellt? Oder anders formuliert: Was sagt uns dieser Satz, das wir nicht auch schon vorher gewusst haben?

Vielleicht können wir die Antwort im Wort „Gehen“ – „Du sollst in seinen Wegen gehen“ finden. G-tt verlangt also vom Menschen, dass er die Mizwot, die Gebote, nicht nur ausübt, sondern, dass die Mizwot ihn bewegen sollen. Der Mensch soll sich durch die Mizwot vorwärts bewegen.

Obwohl das Ausüben der Mizwot immer einen positiven Einfluss auf den Menschen hat, soll er ganz bewusst danach bestrebt sein, durch sie zu gehen. Und wie kann der Mensch diese Kraft, welche in der Mizwa steckt, finden? In dem er die Mizwot bewusst mit der Absicht erfüllt, auf seinen Wegen, den Wegen des Ewigen zu gehen.

Auch Engel bewegen sich ständig im geistigen Sinn und erreichen eine immer höhere Stufe. Dennoch werden sie als „Omdim“ – „Stehende“ bezeichnet, weil sie doch nie wirklich vom Fleck kommen. Ihr Vorwärts kommen ist immer nur mit Mass, sie können keine Sprünge machen. Nur der Mensch kann wirklich gehen, denn nur der Mensch kann als begrenztes, limitiertes Wesen durch die Mizwot die Unendlichkeit berühren.

Wie ist es tatsächlich möglich, dass ein limitiertes Wesen das Unendliche berühren kann? Dadurch, dass er auf den Wegen des Ewigen wandelt. Auch G-tt selbst beinhaltet diesen Widerspruch: Einerseits ist er unendlich, andererseits ist er auch der Schöpfer, welcher diese limitierte Welt geschaffen hat und sich mit ihr abgibt. Dadurch dass der Mensch ganz bewusst auf den Wegen des Schöpfers geht, d.h. ganz bewusst versucht, sich durch die Gebote seinem Schöpfer zu vergleichen, kann auch er dieses Paradox in seinem Wesen vereinen.