In unserer Parascha erlaubt die Tora einem Mann sich von seiner Frau scheiden zu lassen, wenn sie „in seinen Augen keine Gunst mehr findet“.

Unsere Weisen waren unterschiedlicher Meinung, unter welchen Umständen ein Mann tatsächlich von dieser Option Gebrauch machen darf. Die Schule von Schamai war der Meinung, dass ein Mann sich von seiner Frau nur dann scheiden lassen darf, wenn sie unter dem Verdacht steht, ihm untreu zu sein. Dagegen erlaubt die Schule von Hillel die Scheidung schon dann, wenn sich die Frau als untüchtige Hausfrau entpuppt („Selbst wenn sie nur sein Essen verbrannt hat“). Rabbi Akiwa war der Meinung, dass es erlaubt sei, sich scheiden zu lassen, wenn man eine hübschere Frau gefunden habe.

Nun stellt sich die folgende Frage: Normalerweise ist die Schule von Schamai stets die strengere und die Schule von Hillel erleichtert meistens das Gesetz. Scheinbar sollte doch Hillel zu Gunsten der Frau entscheiden und es dem Mann nur dann erlauben, sich von ihr zu scheiden, wenn wirklich zwingende Gründe vorliegen?

Vielleicht kann diese Meinungsverschiedenheit auch allegorisch ausgelegt werden: Ein Mann und eine Frau haben zusammen die Aufgabe, ein jüdisches Haus aufzubauen und die Welt durch ihre gemeinsamen Anstrengungen zu verschönern. Im Begriff Frau kann auch alles inbegriffen sein, mit dem der Mensch seine Aufgabe in dieser Welt erreichen soll. So kann zum Beispiel auch der Arbeits- und Wohnort als „Partner“ angesehen werden, mit dessen Hilfe der Mensch seine Ziele erreichen kann.

Das Judentum glaubt, dass vom Himmel bestimmt wird, welche Frau ein Mann heiraten soll. Gewissermassen ist es bestimmt, dass dieser Mann zusammen mit dieser Frau eine bestimmte Aufgabe erfüllen muss. Genauso glaubt das Judentum, dass der Wohn- und Wirkungsort eines Menschen vom Himmel bestimmt ist und dass der Mensch, befindet er sich einmal an einem gewissen Ort, diesen Ort positiv zu beeinflussen hat und dass dies sein Lebenszweck ist.

Nach dieser Auffassung sollte ein Mensch eigentlich seinen Wohnort nicht verlassen, um sich einen neuen zu suchen, obwohl er denkt, er könne im Neuen Ort mehr erreichen. Denn seine Aufgabe liegt in diesem Ort. Nun können wir die Meinungsverschiedenheiten der Weisen so interpretieren: Die Schule von Schamai ist wie immer sehr streng und verbietet dem Menschen, eine neue Aufgabe zu suchen, solange die jetzige irgendwie noch nicht erfüllt ist. Nur wenn es klar ist, das es einem Menschen verboten ist, an diesem Ort weiter zu wirken, weil es gegen die Regeln der Halacha verstösst (genau wie ein Mann, dessen Frau mit einem stichhaltigen Verdacht der Untreue behaftet ist, nicht mehr mit ihr zusammen leben darf), darf er seinen Ort verlassen. Die Schule von Hillel erlaubt es auch wenn der Mensch fühlt, dass dieser Ort seine eigenen geistigen Werte untergräbt (wenn sie ihm das eigene Gericht verbrennt). Und Rabbi Akiwa ist besonders rücksichtsvoll und erlaubt es dem Menschen seinen Wohnort zu wechseln, wenn er einen schöneren und leichteren gefunden hat, in dem er hoffen kann, mehr und leichter zu wirken.

Die Halacha ist wie die Schule von Hillel, doch sollte ein Mensch es sich sehr lange überlegen, bevor er sich von seiner Frau scheiden lässt. Genau so sollte ein Mensch nicht überstürzt entscheiden, seinen Ort zu verlassen.