Augenblicklich befinden wir uns im Monat Elul (vgl. die vorwöchentliche "Betrachtung"), dem Monat vor Rosch Haschana, dessen Hauptthema traditionsgemäß die "Tschuwa" (Reue) ist; diese ist, zusammen mit "Tefilla" (Gebet) und "Zedaka" (Wohltätigkeit), einer der Grundpfeiler des G-ttesdienstes während der Hohen Feiertage sowie der Tage, die ihnen vorangehen. Die landläufige Übersetzung – "Reue", "Gebet" und "Wohltätigkeit" – wird jedoch den wahren jüdischen Ideen von "Tschuwa", "Tefilla" und "Zedaka" nicht gerecht.

TSCHUWA wird, wie gesagt, gewöhnlich mit "Reue" übersetzt. Jedoch wäre das passende hebräische Wort für Reue Charata, nicht Tschuwa. Tatsächlich sind Charata und Tschuwa völlig entgegengesetzte Begriffe.

Charata beinhaltet die Regung des Menschen, einen neuen Weg einzuschlagen. Er bereut, dass er etwas Böses getan oder eine gute Handlung unterlassen hat, und nun möchte er sein Verhalten neu bestimmen.

Tschuwa dagegen bedeutet Rückkehr. In seinem innersten Wesen ist jeder Jude gut, und er ist zutiefst bestrebt, immer das Richtige zu tun. Dass er sich vergangen hat, liegt in mancherlei Umständen begründet, über die er entweder gänzlich oder teilweise keine Kontrolle hat. Das ist die jüdische Idee von Tschuwa – eine Rückkehr zu den Wurzeln und Anfängen, zu sich selbst, zu seinem angeborenen Charakter, der von nun an sein weiteres Leben bestimmen und gestalten soll.

TEFILLA wird gewöhnlich mit "Gebet" übersetzt, also von "Bitten" abgeleitet. Dafür wäre aber Bakascha das richtige hebräische Wort.

Hier stehen gleichfalls die Bedeutungen der beiden Wörter in Widerspruch zueinander. Bakascha heißt: etwas verlangen, etwas zu erstreben suchen. Tefilla dagegen bedeutet: sich anschließen. Bakascha ist die Aufforderung an G-tt, uns unsere Lebensnotwendigkeiten zu gewähren. Wenn uns jedoch nichts fehlt und wir keinen Wunsch haben, dann ist unser Bitten überflüssig. Tefilla, das "Sich-anschließen an G-tt", ist für jedermann und zu allen Zeiten zutreffend. Jeder Jude hat eine Seele, die an G-tt gebunden mit Ihm verbunden ist; nur ist es möglich, dass diese Bindungen der Seele schwächer werden.

Um diesem Zustand vorzubeugen, sind jeden Tag bestimmte Zeiten für die Tefilla festgesetzt; dann sollen wir unsere Bande mit G-tt erneuern und festigen. Daher brauchen selbst diejenigen, denen materiell nichts fehlt, die Tefilla, sozusagen um "G-tt näher zu kommen". Sie ist das Mittel, wodurch das Band zwischen dem Juden und seinem Schöpfer immer wieder gestärkt wird.

Die übliche Übersetzung für ZEDAKA ist "Wohltätigkeit". Für "Wohltätigkeit" wäre jedoch das genaue hebräische Wort Chessed. Dieses Wort wird hier nicht benutzt, vielmehr ist die Rede von Zedaka; und auch hier besteht ein Gegensatz zwischen den beiden Ausdrücken.

Chessed unterstreicht die Tugend des Gebers. Der Empfänger muss nicht unbedingt der Gabe würdig noch der Geber eigentlich zum Geben verpflichtet sein; er tut es aus Güte. Zedaka dagegen leitet sich von dem hebräischen Wort ab, das "Gerechtigkeit" bedeutet; damit wird angezeigt, dass es für einen Juden recht und billig ist zu geben. Dafür sind zwei Gründe zu finden: Erstens gibt er ja gar nicht her, was ihm gehört; er gibt nur das, was G-tt ihm anvertraut hat, um davon anderen zu geben. Und zweitens: nachdem jeder auf G-tt für seinen Lebensunterhalt angewiesen ist, obwohl G-tt ganz gewiss niemandem etwas schuldet, so ist auch der Mensch verpflichtet, "Maß für Maß" zurückzuzahlen, obschon er dem Nebenmenschen an sich nichts schuldet.