Der augenblickliche Monat Elul, Vorbereitungszeit auf Rosch Haschana, steht unseren Weisen zufolge (Pri Ez Chajim, Schaar Rosch Haschana, Kap 1) in enger Verbindung mit den "Städten der Zuflucht", von denen die dieswöchige Sidra spricht. Dieser ganz besondere Monat, mit seinen gesteigerten Ansprüchen an uns in den Bereichen von Gebet, guten Taten und Tschuwa (reuige Umkehr), ist gleichsam eine "Stadt der Zuflucht" für den Sünder.
Was sind die wesentlichen Vorschriften für die "Stadt der Zuflucht", und wie können sie auf den Monat Elul Anwendung finden? Die Tora erklärt dazu in unserer Sidra (Deut. 19, 4-5): "Dies denn ist der Anspruch dessen, der tötet, dass er dorthin fliehen kann und leben darf: wer seinen Nebenmenschen unversehens erschlägt und ihm doch von vorher nicht feindlich gesinnt war; als wenn er mit seinem Nebenmenschen in den Wald kommt, um Bäume abzuschlagen, und seine Hand mit der Axt gerät beim Fällen des Baumes in Schwung, und das Eisen löst sich vom Holze ab und trifft seinen Nebenmenschen, sodass dieser stirbt. Er nun soll zu einer dieser Städte fliehen und leben."
Das Tora-Gesetz unterscheidet zwischen drei Graden von Absicht und Vorhaben:
- Oness – glatter Zufall. Wenn aber, wie im hier von der Tora zitierten Falle, das Axteisen vom Holz abgleitet und dabei jemanden tötet, gilt dies nicht als Oness; denn man ist verpflichtet, seine Werkzeuge auf Festigkeit und Sicherheit hin zu überprüfen, und man muss auch Umstände und Umgebung im Auge behalten.
- Mesid – absichtliche, vorsätzliche Tat. Das wäre nicht die richtige Beschreibung für den oben erwähnten Vorfall.
- Schogeg – eine unvorhergesehene und ungewollte Tat. Darunter fällt der hier geschilderte Unfall mit der Axt, und dafür sind für den Täter "Städte der Zuflucht" bestimmt. Dort findet er Unterkunft und Schutz gegen einen heißblütigen Verwandten seines Opfers, der sich an ihm rächen möchte. Später kommt dann jeder derartige Fall zur Verhandlung vor ein Bet Din (einen jüdischen Gerichtshof); und wenn dessen Urteil lautet, dass die Tötung tatsächlich ohne Vorbedacht erfolgt war, dann erhält der Totschläger weiterhin ein Aufenthaltsrecht in der "Stadt der Zuflucht".
Dieser erzwungene Umzug aus seinem vorherigen Wohnsitz, also seine jetzige "Exil"-Existenz, sühnt für sein Vergehen (s. Tossafot zu Talmud, Makkot 11b, unten; Sefer Hachinuch, Nr. 410) Die "Städte der Zuflucht" retteten nicht nur den Körper des Totschlägers, sondern sühnten auch für seine Seele. Ganz ähnlich nun können wir in den Monat Elul "laufen" und dort "Zuflucht" nehmen, dadurch dass wir uns von den vorherigen schlechten Lebensgewohnheiten losreißen und uns dem Gebete, dem Wohltun und der Tschuwa widmen. So finden wir Zuflucht und Sühne in diesem Monat für alle früheren Vergehen, ob diese nun vorsätzlich oder unwissentlich begangen worden sind.
Warum jedoch sollte der Schogeg, also der unvorsätzliche Sünder (oder unwillige Töter), überhaupt eine Strafe verdienen? Warum muss er um Nachsicht und Verzeihung bitten? Die Antwort ist, dass letzten Endes sogar ein unwillkürlicher Verstoß gegen G-ttes Willen nicht gerechtfertigt werden kann. Im Idealfall muss nicht nur der Geist, sondern auch das bloße Fleisch des Körpers sich von der Sünde abgestoßen fühlen, ebenso wie es sich – beispielsweise – gegen übermäßige Hitze schützen würde. (Könnte jemand "unwillkürlich" in einen Feuerbrand springen?)
Mit der Ausnahme des wahren Zaddik ist das Fleisch des Menschen nicht überempfindlich gegen Sünde, und zwar weil der Mensch es dem tierischen Instinkt in sich selber gestattet hat, stark zu werden und die Empfindlichkeit der Seele überbetonen oder zu unterdrücken. Dafür verdienen wir, wie der unwissentliche Täter, Strafe und Sühne. Und ebenso wie dies dem in die "Stadt der Zuflucht" Verbannten ermöglicht wird, so gibt auch die "Stadt der Tschuwa", das ist der Monat Elul, dem vor seinen schlechten Charaktereigenschaften fliehenden Menschen eine Zuflucht – Vergebung seiner Sünden –, um so für ein gutes neues Jahr eingeschrieben und besiegelt zu werden.
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