Ein Mann prahlte damit, was für ein guter Bürger er sei und wie diszipliniert er lebe. „Ich rauche, trinke und spiele nicht. Ich betrüge meine Frau nicht, gehe früh zu Bett und stehe früh auf. Ich arbeite den ganzen Tag hart und erfülle meine religiösen Pflichten.“ Eindrucksvoll, nicht wahr? Dann fügte er hinzu: „So lebe ich sein fünf Jahren. Aber wartet nur, bis ich aus dem Gefängnis entlassen werde!“

Obwohl Gefängnisse eigentlich nicht zum jüdischen Rechtssystem gehörten, wurden manche Menschen in ihrer Bewegungsfreiheit eingeschränkt – zum Beispiel in einer „Stadt der Zuflucht“. Wer einen Menschen ohne Vorsatz getötet hatte, floh zu biblischen Zeiten in eine dieser Städte, wo er vor der Rache der Verwandten seines Opfers sicher war.

Der Tora zufolge endete sein Exil mit dem Tod des Kohen Gadol, des Hohenpriesters. Der Talmud berichtet von einem interessanten Brauch: Die Mutter des Kohen Gadol brachte den Exilanten Geschenke und Speisen, damit sie nicht um einen frühe Tod ihres Sohnes beteten, der ja ihre Freiheit bedeutet hätte.

Das ist seltsam. Da ist ein Mann, der zwar kein Mörder, aber auch nicht unschuldig ist. Die Rabbiner lehren, dass G-tt die Rechtschaffenen vor Unglück schützt. Wenn dieser Mensch jemanden getötet hat, können wir daraus schließen, dass er nicht rechtschaffen ist. Ihm gegenüber steht der Hohepriester Israels, edel, adlig und angeblich der heiligste lebende Jude. Als Einziger hat er die noble Pflicht und das Vorrecht, am heiligen Tag Jom Kippur das Allerheiligste des heiligen Tempels zu betreten. Müssen wir wirklich befürchten, dass die Gebete eines moralisch belasteten Gefangenen auf den verehrten Hohenpriester eine so negative Auswirkung haben, dass dieser womöglich stirbt? Muss die arme Mutter Speisen in ferne Städte schleppen, um den Gefangenen gnädig zu stimmen, damit er seine Gebete mäßigt und ihr Sohn leben darf? Ergibt das einen Sinn?

Nun, jedes Gebet ist mächtig – das Gebet eines adligen und eines gewöhnlichen Menschen, das Gebet eines Frommen und sogar das Gebet eines Sünders.

Natürlich gibt es keine Garantie. Andernfalls wären die Synagogen der Welt vermutlich jeden Tag überfüllt. Dennoch glauben wir fest an die Macht des Gebetes. Und obwohl wir im Idealfall hebräisch und mit der Gemeinde beten, ist Aufrichtigkeit die wichtigste Zutat, damit das Gebet erhört wird. „G-tt will das Herz“, bringt man uns bei. Die Sprache und die Umgebung sind zweitrangig. Und nichts kann echter sein als eine Träne, die beim Beten vergossen wird.

Lernen Sie auf jeden Fall die Sprache unseres Siddurs, des Gebetbuches. Verbessern Sie ihr Hebräisch, damit Sie dem G-ttesdienst folgen und fließend dawnen können. Aber denken Sie daran, dass Aufrichtigkeit am wichtigsten ist. Mögen alle Ihre Gebete erhört werden.