Die dieswöchentliche Sidra beginnt mit den Worten: "Dies ist die Satzung der Tora". Die Tora enthält Gesetze verschiedener Art, und die "Satzungen" sind jene Vorschriften, für die es dem Augenschein nach keine Erklärung gibt.
Unsere Weisen sagen (Mischna Brachot 2, 1), dass unsere Unterwerfung unter die Herrschaft des Himmels und unsere Anerkennung der Gebote ähnlich einem "Joche" sein soll; das heißt, die Grundbedingung für die Beobachtung der Vorschriften und die Ausübung unserer Religion soll in der Anerkennung der Souveränität G-ttes, in absoluter Ergebenheit liegen.
Dem Höchsten Wesen gegenüber müssen wir unsere geistige Unzulänglichkeit eingestehen, und der Ausdruck "Joch" deutet eben diesen Gedanken an. Dennoch soll mit dieser Analogie nicht der Begriff der "Last" zum Ausdruck kommen; im Gegenteil. Das Wort wird vielmehr in dem Sinne gebraucht, dass: a) ein Tier keine Idee hat, was sein Herr will, b) das Tier sich dem Herrn völlig unterwirft und c) das Joch als ein Mittel dazu dient, dass das Tier seine Aufgaben verrichten kann.
Unser Glaube beruht auf der G-ttlichen Offenbarung und der Verkündung der Tora am Berge Sinai. Wir nahmen die Tora in der Gesinnung an, die in den Worten zum Ausdruck kam: "Wir werden tun" (zuerst) und (danach) "wir werden verstehen" ("na'asse wenischma"). Dieses letztere Wort bedeutet – ebenso wie im "Schma Jisrael" – nicht allein "hören" oder "gehorchen", sondern auch "verstehen". In anderen Worten: Wir haben die Ausführung der Vorschriften als Erlasse des Höchsten Herrn der Welt angenommen, in voller Erkenntnis der Tatsache, dass unser menschlicher Verstand begrenzt ist und die unendliche Weisheit G-ttes nicht erfassen kann. Wir kennen nicht das Endergebnis der Ausführung der Gebote (noch können wir es kennen); wir verstehen nicht, was ihre endgültige Auswirkung für uns selbst und für die Welt um uns ist. Alle Erklärungen oder Deutungen, die für ein Gebot vorgebracht oder ihm zugeschrieben werden, müssen als zufällig und unvollständig angesehen werden.
Es ist ja auch die Methode der Wissenschaften, zuerst die Fakten festzustellen und erst dann zu versuchen, sie zu erklären. Wird eine hinreichende Erklärung gefunden, umso besser; aber wenn nicht, auch dann bleiben die Fakten gültig, obgleich das Geheimnis ihrer Ursache nicht herausgefunden worden ist.
Im jüdischen Leben und in der ganzen jüdischen Geschichte hat es sich immer bewiesen, dass dort, wo die jüdischen Vorschriften, Gebräuche und Gepflogenheiten in wirklicher Unterwerfung unter G-ttes Weisheit und Willen, in Demut und schlichtem Glauben, beobachtet wurden, diese Vorschriften, Gebräuche und Traditionen bewahrt und verewigt worden sind. Aber dort, wo sie in diesem Geiste nicht angenommen wurden, sondern erst einmal peinlichster Prüfung durch die Vernunft – in rücksichtsloser Suche nach "Erklärungen" – ausgesetzt und dann vielleicht akzeptiert wurden, weil sie der Vernunft oder dem Geschmack zusagten, dort wurde das Judentum bis auf seine tiefsten Fundamente untergraben.
So sagen auch unsere Weisen (Talmud Eruwin 64a): "Wer da sagt, diese Vorschrift ist schön, doch jene ist nicht so gut, bringt die Tora in üblen Ruf" (Raschi kommentiert: "Und er wird sie schließlich vergessen"). Wir müssen daher alle Vorschriften als gleich unantastbar ansehen, denn sie wurden alle von demselben Gesetzgeber erlassen, sie stammen alle aus der gleichen Quelle.
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