In der nächste Woche beginnenden "Drei Wochen" – vom 17. Tammus bis zum 9. Aw (dem Fasttag "Tischa beAw") – trauern wir um "Churban Habajit", das ist die Zerstörung des Tempels in Jerusalem, die sich in dieser Zeitspanne ereignete.

Was ist der eigentliche Zweck, der mit diesem Gedenken des "Churban Habajit" verfolgt wird? Der Endzweck ist nicht, dass dadurch Trauer oder Schwermut ausgelöst werden sollen, noch ist es mit der bloßen Erinnerung an das Ereignis getan. Wir sollen uns vielmehr bemühen, Grund und Ursache für die Zerstörung zu verstehen, und wir sollen dieses Verstehen auf unser tägliches Leben in Anwendung bringen. Der Talmud (Joma 9b) sagt uns, dass der Tempel ob des "unberechtigten Hasses" ("Sinat Chinam") zerstört wurde, der innerhalb unseres Volkes herrschte; und wir müssen im täglichen Leben trachten, diese schlechte Eigenschaft loszuwerden. Dieser grundlose Hass kann durch "unberechtigte Liebe" ("Ahawat Chinam") korrigiert werden.

Demnächst zeigt unser Kalender den "Jud-Bet Tammus" (12. Tammus) an - ein chassidischer Festtag. Chassidim feiern es, weil an diesem Tage im Jahre 1927 der frühere Lubawitscher Rebbe, R. Josef Izchak Schneersohn sel. A., aus dem Gefängnis befreit wurde; außerdem war es sein Geburtstag. Viele Jahre vorher, an seinem Bar Mizwa-Tage, hatte er seinen Vater (den damaligen Lubawitscher Rebben) gefragt: "Warum sagen wir jeden Tag vor dem Morgengebet: 'Ich nehme hiermit das positive Gebot auf mich, das da lautet: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst'? Was für eine Verbindung besteht denn zwischen diesem Brauch und dem Beten?"

Sein Vater antwortete ihm: "Im Gebet bittet der Jude G-tt, ihm alles zum Leben Notwendige zu gewähren. Bevor nun ein Kind seinen Vater um etwas bittet, tut es doch sein Bestes, ihn zufriedenzustellen; und die größte Zufriedenheit, die ein Vater haben kann, erwächst ihm aus dem harmonischen und freundschaftlichen Zusammenleben seiner Kinder. G-tt ist der Himmlische Vater aller, ob jung oder alt, reich oder arm, gelehrt oder einfältig. Wenn Er sieht, dass all Seine Kinder, mit ihren unterschiedlichen und manchmal sogar aufeinanderprallenden Charaktereigenschaften, in Einigkeit und Eintracht miteinander leben, in gegenseitiger brüderlicher Liebe, dann erfüllt Er die Wünsche, die sie in ihrem Gebet zum Ausdruck bringen."

Diese "Ahawat Chinam" beinhaltet, dass wir anderen Liebe zu erweisen haben, ohne frühere oder zu erwartende Gefälligkeiten in Betracht zu ziehen, und selbst auch zu einem Menschen, den wir noch nie vorher gesehen haben? Er mag überhaupt keine Tugenden oder andere Attribute zur Schau stellen, die unsere Liebe hervorrufen könnten. Trotzdem verlangt "Ahawat Chinam", dass wir ihm voller Liebe gegenübertreten. Wenn Israel in Freundschaft und Harmonie zusammenlebt, geeint durch die Bande der "Ahawat Chinam", dann werden sie auch würdig sein, den baldigen Wiederaufbau des zerstörten Tempels zu erleben.