In der Sidra dieser Woche – Mischpatim ("Rechssachen") – sind die Vorschriften enthalten, die im großen und im allgemeinen des jüdische Recht ausmachen.
Jüdisches Recht und jüdischer Brauch können in drei Kategorien eingestuft werden (s. Kommentar zu Deut. 6, 20):
- "Rechtssachen" (in Samson Raphael Hirschs Übersetzung: "Rechtsordnungen") – Das sind zivilrechtliche Bestimmungen, an sich für jede Gemeinschaft grundlegend, wie die Verbote zu töten, zu stehlen usw. Der Menschheit hätte (so ist jedenfalls zu hoffen) die Wichtigkeit dieser Gesetze an sich eingeleuchtet, selbst wenn die Tora sie nicht ausdrücklich postuliert hätte.
- "Zeugnisse" – Diese beziehen sich auf den Schabbat, die Feste und dergleichen. Hätte die Tora uns nicht die Einhaltung dieser Klasse von Vorschriften geboten, so wären diese uns nicht von selbst eingefallen. Immerhin jedoch können wir, nachdem sie einmal in der Tora aufgestellt worden sind, die Gründe für ihre Beachtung verstehen.
- "Satzungen" – Das sind Anordnungen wie z.B. Kaschrut und die anderen Speisevorschriften, für die es keine rationellen Gründe gibt; sie müssen befolgt werden, weil es uns nun einmal so geboten worden ist (s. Bamidbar Rabba, Anfang von Sidra Chukat).
Die dieswöchige Sidra nun – die betont, dass die "Rechtssachen" zusammen mit den "Satzungen" am Berge Sinai verkündet worden sind (s. Schmot Rabba, Tanchuma und Mechilta, zitiert von Raschi zu Exodus 21, 1) – lehrt uns, dass auch die leicht einleuchtenden Vorschriften mit derselben Unterwürfigkeit und Bereitwilligkeit befolgt werden müssen wie die "die Vernunft übersteigenden" Anordnungen. Denn es kann doch kein Zweifel daran bestehen, dass unser begrenzter menschlicher Verstand nur die äußerste Oberfläche dessen berühren kann, was den wahren Sinn der G-ttlichen Gesetze kennzeichnet.
Wie ungemein wichtig ist gerade diese Lehre in unserer Zeit, da die Einstellung vieler zu unserer Religion in etwa diese Worte gekleidet werden kann: "Ich halte gern die Bräuche oder Gesetze, die leicht verständlich sind; und ich will sogar jene rätselhaften Satzungen befolgen, deren Sinn ich nicht verstehe." – Zuerst also finden wir da noch eine ziemlich widerwillige Anerkennung der "über den Verstand hinausgehenden" religiösen Vorschriften; doch eine solche Haltung geht dann allzu oft und sehr schnell in eine viel weiter verbreitete Einstellung über, die so zum Ausdruck kommt: "Was ich verstehe, das halte ich; was aber über meinen Verstand geht, das lehne ich ab."
Und doch sollte eine nur ganz kurze Überlegung uns zu der Einsicht verhelfen, dass in Wirklichkeit die Vorschriften, die das eigentliche, das wahre Wesen der Religion spiegeln, eben genau jene sind, welche die Vernunft nicht ergründen kann. Denn letzten Endes kann nur das folgende Prinzip überragend und von Gültigkeit sein:
Unsere Religion und ihre Gebote sind von einem unendlichen; unerforschlichen G-tt gegeben worden; und wenn dann, angesichts dessen, der begrenzte Mensch seinen beschränkten Verstand als Maßstab anlegen will, um damit die Weisheit und die Triftigkeit eines G-ttlichen Gebotes zu messen, so ist dies gleichzeitig anmaßend, überheblich, wie auch einfach lächerlich.
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