An diesem Schabbat wird der Monat Siwan angekündigt – das ist der Monat, in dem die Tora gegeben worden ist. Der Midrasch (Schir HaSchirim Rabba I 4:1) erzählt, dass G-tt vor der Übergabe der Tora an Sein Volk Bürgen von ihm verlangte, die dafür einstehen würden, dass die Israeliten die Tora lernen und befolgen würden. Zuerst boten die Juden ihre Vorväter Abraham, Izchak und Jakob als Bürgen an, die aber von G-tt abgelehnt wurden. Dann machten sie einen zweiten Vorschlag: „Unsere Propheten sollen Bürgen für uns sein.“ Auch dieses Angebot war nicht annehmbar. Schließlich schlugen die Israeliten vor, dass ihre Kinder das Studium und die Beobachtung der Tora garantieren würden; dieses „Pfand“ wurde angenommen, und die Tora wurde verkündet.

Dieser Midrasch hat in unserer eigenen Zeit genau so viel Gültigkeit und Bedeutung wie damals, als die Tora am Berge Sinai gegeben wurde. Auch heute werden die gleichen „Angebote“ an G-tt gemacht.

Das erste lautet: „Unsere Väter sollen die ‚Bürgschaft’ dafür stellen, dass die Tora gelernt wird.“ In der einen oder anderen Form wird dieser Plan von vielen auch heutzutage vorgebracht: „Ich selbst habe zwar keine Zeit, mich dem Studium meiner Religion zu widmen – aber ich will gern für meinen alten Vater zahlen, dass er die Tora im Altersheim lernen kann. Er hat ja sowieso sonst nichts zu tun; deshalb kann er seine ganze Zeit mit dem Torastudium verbringen, und das wird ihn zufriedenstellen.“ Dieses Angebot ist jedoch abzulehnen, denn in ihm liegt absolut keine Gewähr für die zukünftige Existenz der jüdischen Gemeinschaft im Sinne der Tora.

Andere wieder haben einen anderen Plan: „Unsere Propheten werden unsere Bürgen sein.“ Das hebräische Wort für „Prophet“ („Nawi“) geht auf dieselbe Wurzel zurück wie das hebräische Wort für „sprechen“; somit können die „Propheten“ als „Redner“ verstanden werden. Mit anderen Worten lautet dann dieses Angebot so: „Unsere Redner – das sind unsere Rabbiner – werden statt uns studieren. Ich trage gern zur Erhaltung der Gemeinde bei und überlasse es damit dem Rabbiner, sich mit der Religion zu befassen, während ich meinen Geschäften nachgehe. Schließlich ist das doch sein Beruf; und so werden die Rabbiner dafür sorgen, dass die Tora eingehalten wird.“ Wie viele von uns bringen ähnliche Gedanken vor, wenn wir zum Beispiel sagen: „Warum soll sich denn mein Sohn eingehender und tiefer mit dem Studium der Tora abgeben? Er will doch kein Rabbiner werden!“ Doch wie falsch ist diese Ansicht! Judentum und Jüdischkeit zu erhalten, ist nicht die Aufgabe nur der Rabbiner sondern die Pflicht jedes einzelnen Juden. Das Studium und die Befolgung der Tora sind uns allen aufgegeben.

So werden denn, drittens, unsere Kinder als Bürgen vorgeschlagen: „Sie mögen getrost ihre Religion studieren, solange sie jung sind,“ meinen die Eltern. „In ihren jungen Jahren sollen sie ruhig eine Talmud-Tora-Schule besuchen und sogar auch eine Jeschiwa. Damit haben sie dann ihre Pflicht dem Judentum gegenüber erfüllt; und hinterher können sie sich gänzlich den weltlichen Dingen zuwenden.“

Zwar ist auch dies nicht das Ideal, denn die Tora ist nicht nur für die Kinder da; trotzdem wird diese Bürgschaft angenommen. Es ist nämlich zu bedenken, dass die Kinder, wenn sie die Tora in ihren jungen Jahren gelernt haben, oft nicht gewillt sind, ihre Studien aufzugeben, wenn sie älter werden. Hinzu kommt, dass diese Kinder häufig einen Einfluss auf ihre Eltern ausüben und sie schließlich dazu bringen können, auch ihrerseits die Tora zu studieren und ihre Vorschriften zu befolgen.