"Die Gnade wird nicht durchgesiebt, Sie tropft als sanfter Regen vom Himmel auf die Erde hinab."

Ausnahmsweise zitieren wir hier einmal nicht aus der Schrift, sondern aus einem Schauspiel, weil dieser Vers an den Wochenabschnitt Reeh erinnert.

Diesen Abschnitt lesen wir an dem Schabbat, an dem wir den Monat Elul segnen, oder am Rosch Chodesch Elul selbst. Elul unterscheidet sich deutlich vom vorigen Monat Aw, in dem wir feierlich der Zerstörung beider Tempel gedachten. Elul ist ein Monat der Buße nach dem Monat der Klage.

Im Text geht es vor allem um Mosches zweite Rede, in der er die Gebote erläutert, die Israel befolgen muss – Gebote über religiöse Einrichtungen, G-ttesdienst, Regierung, Straftaten, das häusliche Leben, den Zehnten und anderes.

Wichtig ist, dass die Gebote des Landes und die g-ttlichen Gebote sich unterscheiden. Der Talmud sagt: “Wer vor G–tt des Todes schuldig ist, dem vergibt das himmlische Gericht, wenn er bereut. Wer vor dem irdischen Gericht des Todes schuldig ist, dem wird nicht vergeben.”

Damit ist das gleiche gemeint wie in dem Vers oben. Ein irdisches Gericht kann Reue nicht wirklich beurteilen, weil sie sich im Herzen ereignet. Doch G–tt kann unsere Reue beurteilen und deshalb das Todesurteil vollstrecken oder aufheben. Seine Gnade regnet also wirklich vom Himmel auf uns herab.

Das befreit uns jedoch nicht von der Pflicht, auf Erden gnädig zu sein. Das schlagendste Beispiel dafür ist die Passage in Reeh, die Menschenopfer verbietet. Sie waren in biblischer Zeit recht weit verbreitet, und das Judentum trug dazu bei, sie abzuschaffen, als es an Einfluss gewann.

In Reeh ist auch vom “zeitweiligen Tempel” in Schilo die Rede und vom Heiligen Tempel (Bais Hamikdasch) in Jerusalem. Beide waren Orte des G-ttesdienstes und der Opfer, aber es gab einen Unterschied: Schilo wurde für das jüdische Volk ausgewählt, damit es opfern konnte, bevor es Jerusalem erreichte. Jerusalem war und ist der Platz, den G–tt zu seiner ewigen Wohnung auf Erden auserwählt hat. Der Zweck war der gleiche, aber dieser Unterschied ist gewaltig.

Mit dieser Dualität leben wir immer. Wir können die spirituelle Ebene des Bais Hamikdasch nicht erreichen, aber wir dürfen G–ttes Gnade erfahren und müssen die Essenz des Heiligen Tempels stets in unserem eigenen Tempel bewahren, damit G–ttes Gnade durch uns wirken kann.