Sie wollen in ein neues Haus umziehen. Der Kaufvertrag ist unterschrieben, der LKW vorgefahren, der frühere Eigentümer geht mit Ihnen zum letzten Mal durchs Haus – und erzählt Ihnen erst jetzt, dass die Decke Risse hat, dass in den Wänden Mäuse wohnen und dass die Nachbarn sehr laut sind.
Bisher haben Sie sich über das neue Haus gefreut und es als Segen empfunden. Jetzt kommt der Fluch hinzu. Aber in Wahrheit hat der frühere Eigentümer Ihnen einen Gefallen getan: Er hat Ihnen die Chance gegeben, über die Probleme und deren Lösung nachzudenken, anstatt später von ihnen überrascht zu werden. Kein Bereich des Lebens ist reine Freude. Alles hat eine Schattenseite, und es ist gut, wenn wir diese so früh wie möglich kennen.
Am Anfang von Reeh, dem Abschnitt dieser Woche, sagt Mosche zu den Kindern Israel: „Seht, ich lege euch einen Segen und einen Fluch zu Füßen.“ Die Erklärung ist einfach: Der Segen ist das Einhalten der Gebote, der Fluch ist der Verstoß gegen sie. Dennoch hört es sich so an, als lege Mosche einen doppelten Segen zu Füßen des Volkes. Und in der Tat, auch in diesem Fall waren die beiden Gegensätze ein Segen.
Was wäre, wenn wir nichts über die Sünde wüssten und wenn sie uns erst ins Gesicht schlüge, nachdem wir sie begangen haben? Es ist eine seltsame Vorstellung, nicht zu wissen, dass Mord, Diebstahl und Ehebruch böse sind. Aber genau deshalb haben Sie ein Geschenk bekommen: das Geschenk des Wissens.
Außerdem haben Sie das Geschenk der freien Wahl erhalten. Das ist nicht immer leicht, aber es ist viel befriedigender, wenn Sie Gutes tun und wissen, dass Sie sich selbst dafür entschieden haben.
Wir lesen diesen Text vor dem Beginn des Monats Elul. Dessen hebräische Buchstaben sind ein Akronym für einen berühmten Vers aus dem Buch der Lieder: „Ich gehöre meinem Geliebten, und mein Geliebter gehört mir.“ Unsere Weisen erklären, was das bedeutet: Wir akzeptieren in liebevoller Umarmung, was zu unseren Füßen liegt: Den Segen und den Fluch. Denn nur wenn wir das Böse kennen, sind wir imstande, es zu bekämpfen.
Diskutieren Sie mit