Die Tora sagte uns, dass, als Jakob mit seiner Familie nach Ägypten zog, wo das jüdische Volk für über zwei Jahrhunderte blieb, „sandte er Jehuda voraus ... um den Weg zu zeigen.“ Das hebräische Wort Lehorot („den Weg zeigen“) bedeutet wörtlich „zu lehren“ und „anzuweisen“, was den Midrasch anregt zu sagen, dass es das Ziel von Jehudas Mission war, „ein Haus des Lernens zu errichten, von dem aus sich die Lehren der Tora verbreiten.“

Aber Josef war immer in Ägypten, und Jakob hatte das Wort Josefs vernommen, dass dessen 22jähriger Aufenthalt, fern von seinem Heim, sein Wissen um die und seine Verbindung zur Tora nicht verringert hatten. Und Josef hatte die Autorität und die Möglichkeiten die bedeutendste Jeschiwa des Königreiches zu errichten. Warum wollte Jakob, dass Jehuda – ein mittelloser Emmigrant, der kaum die Sprache beherrschte – derjenige ist, der das Haus des Lernens errichten sollte, das dem jüdischen Volk in Ägypten dienen sollte?

Jehuda and Josef

Die Kinder von Jakob waren in zwei Gruppen geteilt: auf der einen Seite standen zehn von zwölf Brüdern, angeführt von Jehuda; demgegenüber stand Josef, dessen Verschiedenheit gegenüber seinen Brüdern es war, die soviel Schmerz und Zwietracht in Jakobs Familie hervorbrachte.

Der Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern geht tiefer als das mehrfarbige Kleidungsstück oder der besondere Teil der väterlichen Zuneigung. Es war der Konflikt zwischen zwei Weltbildern, zwischen zwei Ansätzen als Jude in einer nichtjüdischen Umgebung zu leben.

Abraham, Isaak und Jakob waren Schafhirten, wie es auch Josefs Brüder waren. Sie wählten diesen Beruf, weil sie fanden, dass das Leben eines Schafhirten – ein Leben in Einsamkeit, in einer Beziehung mit der Natur und einer Distanz zu dem Tumult und den Eitelkeiten in der Gesellschaft – ihrem spirituellen Streben am Ehesten zuträglich ist. Indem sie ihre Schafe in den Tälern und auf den Hügeln von Kanaan weideten, konnten sie den weltlichen Angelegenheiten des Menschen den Rücken zukehren, über den Schöpfer nachdenken und Ihm mit einem klaren Verstand und einem ruhigen Herzen dienen.

Josef war die Ausnahme. Er war ein Mann der „Welt“, jemand der „zufälligerweise“ in Politik und Wirtschaft Erfolg hatte. Verkauft in die Sklaverei, wurde er bald zum obersten Manager der Angelegenheit seines Herrn. In das Gefängnis geworfen, wurde er bald zum höchsten Mitglied der Gefängnisverwaltung. Er ging und wurde zum Vizekönig von Ägypten, er war der zweite Mann im bedeutendsten Staat auf der Welt, hinter Pharao.

Doch nichts davon berührte ihn. Sklave, Gefangener, Verwalter über Millionen, Kontrolleur des Reichtums eines Imperiums – es machte keinen Unterschied: derselbe Josef, der die Tora mit seinem Vaters studiert hatte, durchschritt die Paläste von Ägypten. Sein spirituelles und moralisches Ich kam von Innen und wurde nicht durch die es umgebende Gesellschaft oder Umgebung berührt, die von ihm ein 24 stündiges Engagement verlangte.

Der Konflikt zwischen Josef und seinen Brüdern war der Konflikt zwischen der Tradition und der neuen Weltlichkeit; zwischen einer Gemeinschaft von Schafhirten und einem Unternehmer. Die Brüder konnten nicht akzeptieren, dass ein Mensch eine weltliche Existenz führen konnte, ohne dass er weltlich wird; dass ein Mensch eins mit G-tt bleiben konnte, während er in die weltlichen Angelegenheiten der lasterhaftesten Gesellschaft auf Erden eintauchte.

In diesem Konflikt tauchte Josef, der Sieger, auf. Die spirituelle Abgeschiedenheit, die die ersten drei Generationen der jüdischen Geschichte geprägt hat, war an ihr Ende gelangt; Jakob und seine Familie zogen nach Ägypten, wo der „Schmelztiegel“ des Exils ihre Nachkommen in das Volk Israel verwandelte. Wie Josef es in seinen Träumen vorhergesehen hatte, verneigten sich seine Brüder und sein Vater vor ihm, warfen sich nieder, als sie sich ihm näherten. Jakob hatte die Bedeutung dieser Träume schon lange zuvor verstanden und auf ihre Erfüllung gewartet; Josefs Brüder, die es schwerlich akzeptieren konnten, dass sich die Ära der Schafhirten dem Ende entgegenneigt, kämpften 22 bittere Jahre mit ihm, bis sie akzeptierten, dass es die historische Aufgabe von Israel war, ein spirituelles Leben in einer materialistischen Umgebung zu führen.

Die Gründerväter

Dennoch war es Jehuda, nicht Josef, der durch seinen Vater erwählt wurde ein „Haus des Lernens“ zu errichten, das für die Israeliten in Ägypten als Quelle des Tora-Studiums dienen sollte.

Die ersten drei Generationen des jüdischen Lebens waren kein „Fehlstart“: sie waren die Grundlage dessen, was folgte. Es war die Grundlage von der Josef seine Stärke bezog, in einer fremden Umgebung, auf seinem Glauben und der Rechtschaffenheit zu beharren; es war die Grundlage, auf der das gesamte Gebäude der jüdischen Geschichte errichtet wurde.

Der Jude lebt in einer materialistischen Welt, aber seine Wurzeln sind in der Erde einer unverfälschten Spiritualität gepflanzt. Im täglichen Leben muss er ein Josef sein, aber seine Bildung muss von einem Jehuda geliefert werden.