Der weise König Solomon sagte, dass es eine Zeit zum Weinen gibt. Daraus folgt, dass es Zeiten gibt, wo es unangemessen ist, zu weinen, und da König Solomon genau sagte: "Es gibt eine Zeit zum Weinen und eine Zeit zum Lachen"1, gibt es offensichtlich Zeiten, in denen diese Reaktionen unangebracht sind. Schließlich gibt es im Leben nicht nur Weinen und Lachen.

Dieser Tora-Abschnitt handelt von Josefs Vereinigung mit seinen Brüdern, - auf sehr dramatische Weise. Obwohl er sie alle umarmt, behält er seine tiefsten Gefühle seinem Voll-Bruder Benjamin vor. Josef wurde von Benjamin getrennt, als dieser noch ein Kind war, und ist somit der einzige nicht in den Pakt gegen Joseph Verwickelte. Deshalb umarmten sich Josef und Benjamin besonders herzlich:

"Und er (Josef) fiel auf den Hals seines Bruders Benjamin und weinte, und Benjamin weinte an seinem Hals" - Genesis 45:14.

Raschi zitiert den Talmud2 und erklärt, dass das Weinen beider Brüder - außer den tiefgreifenden Gefühlen des Momentes - prophetisch war: Josef weinte wegen der zwei Tempel in Jerusalem, die im Land des Stammes Benjamin liegen und zerstört werden würden. Und Benjamin weinte über das Heiligtum in Schilo, das im Land des Stammes Josef sein und auch zerstört wird.

Die Frage ist: Warum weinen sie beide über die Churban (Zerstörung) des anderen? Warum weinen sie nicht über ihre eigenen Zerstörungen?

Der Lubawitscher Rebbe erklärt, dass wir die Probleme anderer nicht lösen, sondern höchstens bei der Lösung helfen können. Auch die besten Freunde können nur begrenzt helfen, indem sie viele Hilfestellungen und Ratschläge geben, aber der Rest ist Sache des Betroffenen. Auch bei größter Anstrengung gibt es keine Garantie, dass unser Rat Erfolg verspricht, denn nur der Betroffene selbst kann seine Situation verbessern.

Wir können nur noch Tränen vergießen, wenn wir in voller Überzeugung unser Bestes gaben und trotzdem keine befriedigende Lösung eintrat. Wir können für die Betroffenen beten und unser Mitleid bekunden, sonst aber wirklich nichts weiter tun. Wenn wir alles versuchten und erfolglos blieben, können wir tatsächlich nur noch weinen.

Bei unseren eigenen Problemen und Herausforderungen, unserer eigenen Churban, dürfen wir uns hingegen nicht mit Weinen begnügen. Wir können uns nicht den Luxus leisten, unter Tränen aufzugeben. Unser eigenes Problem anzupacken, bis es gelöst ist, sind wir verpflichtet. Nur für andere dürfen wir weinen, für uns selbst müssen wir handeln!

Vor 60 Jahren haben die großen spirituellen Führer in Europa ihre Verluste gezählt - Millionen! Die großen chassidischen Zentren in Polen, die angesehenen Jeschiwas in Litauen wurden von den Nazis zerstört. Was haben diese Gerechten getan? Haben sie sich hingesetzt und geweint? Natürlich gab es Tränen und Trauer, aber der Schwerpunkt wurde schnell auf den Wiederaufbau gelegt. Und heute sind G-tt sei Dank diese Institutionen lebendig, sie wachsen und gedeihen in Israel und den USA. Die Führungspersönlichkeiten konzentrierten sich auf die Zukunft. Und mit der Zeit waren sie in der Lage, ihre dezimierten Gemeinden Schritt für Schritt wiederzubeleben und zu erneuern.

Diese Führer haben für ihre gefallenen Kameraden bittere Tränen vergossen, aber nicht für sich geweint. Sie haben sich an ihrer Aufgabe, den Wiederaufbau, erinnert, und sind auf wundersame Weise unglaublich erfolgreich gewesen.

Wenn wir wie alle Menschen unsere Probleme haben, dann seufzen und stöhnen viele von uns. Wie oft haben wir gedacht: 'Was kann ich nur machen?' In den Worten des fünften Chabad Rebbe, Rabbi Scholom DovBer von Lubawitsch: „Eine gute Tat ist mehr wert als Tausend Seufzer“.

Lass andere über ihren Problemen seufzen. Du aber konfrontiere Dich damit, kümmere Dich darum, arbeite daran. Lass Dich von den Resultaten überraschen!