Vierzig Jahre wanderte unser Volk in der Wüste um sich auf den Einzug ins Land Israel vorzubereiten. Viele Prüfungen mussten wir bestehen, um sicherzustellen, dass wir unsere eigentliche Aufgabe – das Schaffen einer Wohnung für G-tt in dieser Welt – erfüllen könnten.

Prüfungen lassen sich in zwei Gruppen teilen. Es gibt jene Prüfungen, welche aus Armut, Mangel und Not geboren werden. Und es gibt jene, die wir in Überfluss und Reichtum bestehen müssen. Das Manna, unsere tägliche Nahrung in der Wüste, war eine solche Prüfung.

Auf der einen Seite war das Manna eine sehr reiche Gabe. Wir wissen, dass es jeden Geschmack erhielt, den man sich wünschte und dass es vollkommen vom Körper aufgenommen wurde. Anders als bei unserer heutigen Nahrung, musste der Körper keine unbrauchbaren Reste ausscheiden – es ging ganz in unsere Körper ein. Darüber hinaus waren die Körner mit Edelsteinen und Juwelen vermischt. Das Manna hat also alle Kennzeichen des Reichtums.

Doch auf der anderen Seite hatte das Manna auch Anzeichen der Armut. So lernen wir aus der Gemara dass das Manna nicht ebenso satt machte, wie irdische Nahrung. Um wirklich satt zu werden, möchte man sehen, was man schmeckt, man möchte dass sich der Bauch tatsächlich füllt (und dann wieder leert) und dass noch etwas Nahrung für den nächsten Tag übrig bleibt. All diese Zeichen hatte das man nicht. Und dies führte dazu, dass unsere Vorväter sich nach „richtigem“ Essen sehnten.

Aber wie kann es sein, dass eine und dieselbe Sache Armut und Reichtum in sich vereinen?

Das Manna ist übernatürliche Nahrung. Ohne Einflussnahme der Menschen, stammt es direkt von G-tt. Deshalb ist das Manna „von Natur aus“ unbegrenzt. Dies äußert sich darin, dass es nicht auf einen Geschmack begrenzt ist. Selbst den Begriff „Nahrung“ sprengt es und wird auch im zweiten Sinne als Edelstein „kost“bar. Das Manna ist größer als jede Grenze, darum ist es an sich reich.

Obwohl das Manna ganz anders ist, als alles andere in dieser Welt, so muss es sich doch in Zeit und Raum manifestieren. Darum wird es in Tage eingeteilt und wird vergänglich. Darum kann es zwar in seinem Geschmack unbegrenzt bleiben, muss aber unseren Augen verborgen bleiben. Anders als „richtiges“ Essen, wird es niemals uns wirklich gehören. Wir beherrschen es nicht und je mehr wir es kosten, desto wenige können wir es begreifen. Und es ist eben dieser Konflikt des Manna mit unserer Begrenztheit, die es uns als arm erscheinen lässt.

Der Reichtum des Manna's verankerte eine wichtige Lehre in unseren Seelen: Wir haben es nicht uns selber zu verdanken, dass es uns gut geht. Unser Leben, unsere Gesundheit und die Deckung unserer persönlichen Bedürfnisse verdanken wir G-tt allein.

Die Armut des Manna brachte uns eine zweite wichtige Einsicht nah: Von oben kommt nichts Schlechtes sondern nur Gutes. Wenn es uns als unvollkommen oder unbefriedigend erscheint, dann liegt das nur an unserer eigenen Begrenztheit.

Wissen und Weisheit werden in unserer Tradition oft mit Nahrung gleichgesetzt. So wie unser Körper Nahrung aufnimmt und absorbiert bis sie ein mit dem Körper wird, so nimmt unser Geist Wissen und Weisheit auf, bis sie mit ihm verschmelzen. Und auch unsere geistige Nahrung teilt sich in zwei sehr unterschiedliche Arten. Auf der einen Seite gibt es irdisches, menschliches Wissen. Auf der anderen steht uns Juden die Quelle unverfälschten himmlischen und g-ttlichen Wissens – die heilige Tora offen.

Menschliches Wissen ist begrenzt. Es gilt nur für einen Bereich unserer Erfahrung und selbst in diesem begrenzten Bereich enthält es unnötige und sogar schädliche Rückstände, die wir nach der Aufnahme ausscheiden müssen. Wie bei unsere Nahrung empfinden wir diese Begrenzungen nicht als Nachteil sondern geben sie uns ein Gefühl von Genugtuung. Dies ist unser „Brot im Korb“. Wir können es überschauen, beherrschen und uns den geistigen Bauch damit voll schlagen. Kein Wunder, dass irdisches Wissen nur allzu oft zu Hochmut und Selbstzufriedenheit führt.

Die Tora ist unfassbar. Das wissen wir, aber je mehr wir uns mit ihr beschäftigen und in sie vertiefen, desto klarer wird uns, dass wir sie niemals wirklich verstehen können. An ihr ist nichts überflüssiges, kein unnützer Rückstand. Sie lässt sich nicht auf einen bestimmten Bereich unserer Welt eingrenzen, sondern durchdringt unsere gesamte Erfahrung. Da sie uns unsere Begrenztheit verdeutlicht, macht sie uns zu bescheidenen Menschen. Sie macht uns reich, aber stillt niemals unseren Hunger.

Das Lernen der Tora hat eine ungeheure Macht in dieser Welt. Deshalb ist es kein Wunder, wenn unsere andere Seite versucht uns davon abzuhalten. Warum etwas lernen, was man doch niemals verstehen kann? Warum nicht stattdessen sich mit materiellen Dingen beschäftigen, denn „da weiß man was man hat“? Steht nicht geschrieben, dass sich mit dem Wissen auch die Schmerzen mehren?

Die Antwort auf diese Scheinargumente ist einfach: Wir Juden haben einen geistigen, einen g-ttlichen Kern. Wir können ihn verleugnen und den Mund verbieten. Aber Geld, Schmuck und Reichtum werden uns niemals zufrieden stellen. Wir mögen scheinbar satt sein, doch im Inneren wissen, wir, dass wir nicht zu diesem, sondern zu einem ganz anderen Zweck auf der Welt sind.

Das Lernen der Tora führt uns unsere eigenen Grenzen vor Augen. Das schmerzt, aber dies ist unsere Chance sie zu überwinden. Je mehr wir unseren Willen, unsere Vorlieben und unsere Meinungen ablegen, desto mehr werden wir in der Lage sein, die Segnungen der Tora zu empfangen – auf geistiger wie auch auf materieller Ebene.

Likute Sichot, Band IV, Paraschat Ekew