Als Mose noch der ägyptische Prinz war, ging er einst zu seinen Brüdern aufs Feld und sah wie ein Ägypter grausam auf einen hebräischen Sklaven einschlug. Daraufhin tötete Mose den Ägypter. Am nächsten Tag traf er zwei seiner Brüder, die stritten. Er mischte sich ein: „Warum schlägst du deinen Nächsten?“ In seiner Grobheit erwiderte ihm der Hebräer: „Meinst du mich zu töten, wie du den Ägypter getötet hast!?“ Die Thora schildert weiter, dass die zwei Hebräer Mose beim Pharao für den Mord verraten hatten – Und Mose fürchtete sich und sprach: Fürwahr, die Sache ist bekannt geworden!

Der Midrasch erklärt1, dass Mose nicht nur um sein eigenes Schicksal bangte; es ging um das Schicksal des gesamten jüdischen Volkes! – „Wenn zwischen euch Böse Rede ist, wie wollt ihr der Erlösung aus der Sklaverei würdig sein?“

Laut einem anderen Midrasch2 wurde Mose nun klar, aus welchem Grund Israel dieses Elend erleiden musste: „Mose verstand nicht, welche Sünden Israel begangen hatte, dass gerade es von allen Völkern versklavt wurde. Nach diesem Vorfall aber wurde ihm klar: „Die Böse Rede ist zwischen ihnen, wie auch verdienen sie die Freiheit!?“

Ein strenges Verbot

Die Böse Rede ist sicherlich ein schwerwiegendes Verbot. Dem Talmud3 gilt sogar jemand, der seinem Nächsten böse nachredet, als Leugner der gesamten Thora. Doch bekanntlich betrieb das jüdische Volk in Ägypten auch Götzendienst. Und trotzdem sah Mose gerade in der Bösen Rede einen rechtfertigenden Grund für die Sklaverei, nicht aber im Götzendienst, da er in großer Verwunderung sprach, woran sich denn das jüdische Volk versündigt hatte, dass gerade es von allen Völkern versklavt worden war.

War denn die Sünde des Götzendienstes nicht Grund genug um die Erlösung Israels zu verhindern?

Die Erklärung dazu verbirgt sich in dem eigentlichen Grund für die Erlösung aus Ägypten. Rambam erläutert4 in seiner Schilderung der Geschichte des jüdischen Volkes, dass die Erzväter ihren Söhnen den Glauben an den Einen G-tt vererbt hatten, und so entstand „ein Volk, das G-tt erkannte. Dann aber verblieb Israel für lange Zeit in Ägypten und eignete sich den Götzendienst an, sodass G-tt kam und Israel zu Seinem Erbe erwählte.“

Die Wahl G-ttes

Die Volkswerdung Israels vor der ägyptischen Sklaverei hing von den Taten der Hebräer ab, nämlich „ein Volk, das G-tt erkannte“ zu sein, und dieser gemeinsame Nenner vereinte Israel zu einem Volk. Angesichts dessen aber verschwand dieses Volk in Ägypten, als der Glaube an den Einen G-tt durch den Götzendienst verdrängt wurde. Nun war es ein Volk, das fremden Göttern anhing.

Vor dem Exodus aus Ägypten aber veränderte sich die Beziehung G-ttes zum jüdischen Volk. Denn nun machte G-tt Israel zu Seinem Volk, nicht seiner Taten wegen (sie waren ja Götzendiener), sondern nur, weil dies Sein Wille war! Deshalb bildete die Tatsache, dass das jüdische Volk Götzendienst betrieb, kein Hindernis für die Erlösung aus Ägypten.

Nur durch Vereinigung!

Aber anders verhält es sich mit der Bösen Rede. G-tt erwählte die Hebräer zu Seinem Volk, ungeachtet ihrer Taten, doch mit einer Voraussetzung: es musste ein Volk bilden (eine Einheit), das gewählt werden kann. G-tt kann die Hebräer nur dann zu Seinem Volk ernennen, wenn sie das Kriterium für „ein Volk“ erfüllen, nämlich Einheit und Verbundenheit (denn das bedeutet „Volk“)!

Aber die Böse Rede sprengt „Ein Volk“, denn sie sät Hass und Streitigkeit. Dadurch wird das Volkssein in Frage gestellt und somit auch seine Auserwählung und Erlösung! Das befürchtete Mose: Nun seien die Hebräer nicht mehr der Erlösung würdig!

Aber die 210-jährige Sklaverei in Ägypten rückte die Kinder Israels dennoch näher, indem sie (im Allgemeinen) ihren Hochmut und ihre Streitigkeiten minderte und sie so zu Einem Volk wurden, so dass es G-tt zu Seinem Erbe erwählte, Sein Volk Israel für alle Ewigkeit!

(Likutej Sichot, Band 1, Seite 34)