Lieber Leser,

es erscheint irgendwie paradox, dass Adam gleich von Anfang an, als er sich noch in der idealen Umgebung des Gartens Eden befand, zum Arbeiten angehalten wurde - wie wir in der dieswöchigen Sidra lesen können. Entgegen allen weit verbreiteten Ansichten war es für Adam nie möglich, sich vollkommener Ruhe zu erfreuen oder sich frei von Aufgabe und Verantwortung zu entspannen. Noch ehe er das G-ttliche Gebot (der verbotenen Frucht übertrat, also als er noch keinerlei Schuld auf sich geladen hatte, wurde ihm zur Lebenspflicht gemacht. "ihn (d. h. den Garten Eden) zu bearbeiten und zu hüten". Und doch wird Adams Aufenthalt im Garten als das Paradigma des "guten Lebens" angesehen. Daraus folgt doch, dass Arbeitsamkeit auf der einen Seite und das "gute Leben“ auf der anderen nicht unvereinbare Begriffe sind. Tatsächlich ist schwere Arbeit die Grundlage eben des "guten Lebens".

Die Frage kann gestellt werden: Hätte nicht der gute und gnädige G-tt noch dadurch eine grössere Güte beweisen können, dass Er eine perfekte Welt geschaffen hätte, in der es an nichts mangelte und in der Arbeit überflüssig und jegliche Beschäftigung als solche unnötig gewesen wären? Eine Welt, in der der Mensch seinen Unterhalt allein durch Seine Gnade erhalten und so in Bequemlichkeit leben könnte, statt seinen Lebensunterhalt durch Arbeit erst verdienen zu müssen?

Unsere Weisen lehren, dass der Mensch deshalb nach allen anderen Dingen und Wesen geschaffen wurde, damit all sein Bedarf schon bereitgestellt und gewährt war, als er in die Welt kam. Weshalb also waren Arbeit und Beschäftigung notwendig? Sollte dies etwa bedeuten, dass es noch manches zu tun und zu verbessern gab, dann würde daraus folgen, dass die Schöpfung noch Mängel aufwiese. Doch müssen wir aus dem Text der Sidra entnehmen, dass G-tt mit diesem scheinbar unvollkommenen Zustand wohl zufrieden war, denn am Ende jedes Schöpfungsvorganges bezeichnete Er das Ergebnis als "gut". Hiermit wird klar angezeigt, dass es eben diese Unvollkommenheiten und Fehler waren - an denen es noch zu arbeiten und zu verbessern gab -, die ein wesentliches Attribut des letztlichen Guten sind.

Schabbat Schalom