Unser Wochenabschnitt erzählt von der Erschaffung des ersten Menschen und dem ersten Verbot, vor dem G-tt ihn gewarnt hatte – nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen.1 Aus dem Midrasch geht hervor,2 dass dieses Verbot nur für jenen Tag galt, dem sechsten Schöpfungstag, an dem auch der erste Mensch erschaffen wurde. Der Talmud beschreibt den Ablauf der Geschehnisse an jenem Tage: „Zwölf Tagesstunden sind es; in der ersten Stunde wurde die Erde, aus der der erste Mensch erschaffen werden sollte, zusammengebracht, in der zweiten Stunde wurde aus der Erde seine Gestalt geformt ... in der neunten Stunde wurde dem ersten Menschen befohlen, nicht vom Baum der Erkenntnis zu essen, in der zehnten Stunde sündigte er...“3
Dies bedeutet also, dass das Verbot nur für drei Stunden galt, bis zum Einbruch des Schabbats und der erste Mensch bereits eine Stunde später das Verbot übertreten hatte. Wie kann es sein, dass der erste Mensch, den G-tt höchstpersönlich kreiert hatte, sich nicht zusammenreißen konnte, von einem Verbot Abstand zu halten, welches sich nur über drei Stunden erstreckte?!
Die Aufgabe des bösen Triebs
Es gibt jüdische Quellen (vor allem die Kabbala4), die auf die geheimnisvolle Bedeutung des Baums der Erkenntnis und den tiefgründigen Beweggründen des ersten Menschen von ihm zu essen, eingehen. Doch an uns liegt es, eine einfache Erklärung dafür zu finden, wie es dem ersten Menschen passieren konnte, so schnell in Sünde zu fallen, denn die Regel besagt: „Der Vers geht niemals aus seinem einfachen Sinn heraus.“5 Welche Lehre können wir außerdem aus dieser Geschichte ziehen?
G-tt hat den bösen Trieb erschaffen, damit es eine Kraft gibt, die den Menschen dazu drängt, für jede gute Sache zu kämpfen und sie aus eigenen Kräften und aus freier Wahl zu erreichen. Dafür setzt der böse Trieb all seine Fähigkeiten ein, um den Menschen davon abzuhalten, den Willen G-ttes zu erfüllen. Er ist seiner Aufgabe sehr treu und dabei sind ihm alle Mittel recht; unkoschere Vorgehensweisen wie Hinterlist, Heuchelei und Ablenkungen gehören natürlich dazu.
Sehr fleißig
Da es in der Aufgabe des bösen Triebs liegt, den Menschen davon abzuhalten, den Willen G-ttes zu erfüllen, werden seine Bemühungen darum umso größer, je wichtiger das Gebot G-ttes ist, welches der Mensch zu erfüllen hat. Manchmal liegt die Wichtigkeit in der Erfüllung eines Gebots darin, dass es bei einem gewissen Ort oder zu einer gewissen Zeit erfüllt wird, obwohl das Gebot an sich nicht einen besonderen Eigenwert hat. Manchmal handelt es sich um eine ganz simple Sache, doch sobald diese für den Menschen, den Ort oder die Zeit von enormer Wichtigkeit ist, wird der böse Trieb alles unternehmen bzw. versuchen, den Menschen derart zu manipulieren, dass ihm die Erfüllung des g-ttlichen Willens verwehrt wird. Deshalb kann es sein, dass der erbitterte Widerstand des bösen Triebs sich nur auf ein Gebot der Gelehrten oder sogar nur einen Minhag (jüdischer Brauch) richtet, da er sehr wohl weiß, wie wichtig dies für die Seele jenes Menschen ist.
Dies erklärt auch folgende Aussage des Talmuds: „Je mehr sich der Mensch spirituell steigert, desto größer wird sein böser Trieb“6 – die Mitzwot eines solchen Menschen sind sehr gewichtig und haben große Kraft, deshalb strengt sich sein böser Trieb umso mehr an und stellt ihm enorme Hürden, die als Gegengewicht für seine spirituelle Größe wirken sollen, um ihn davon abzuhalten, G-ttes Willen zu erfüllen.
Vom bösen Trieb lernen
Anhand dessen wird die Sünde des ersten Menschen verständlicher. Gerade weil er so groß und besonders war (höchstpersönlich von G-tt erschaffen) und gerade wegen der enormen Wichtigkeit des Verbots, vom Baum der Erkenntnis zu essen (diese Sünde hatte verheerende Folgen für die gesamte Welt; Tod, Hunger, Hass usw. kamen dadurch auf die Welt), stellte sich der böse Trieb, verkörpert durch die Schlange, mit aller Kraft auf (viel stärker, als wir uns vorstellen können), um den Menschen zur Sünde zu verführen, was ihm leider auch gelang.
Aus dieser Geschichte können wir folgendes lernen: Sobald der Mensch merkt, dass sein böser Trieb sich ungewöhnlich stark gegen das Erfüllen einer gewissen Mitzwa sträubt, oder ihn enorm dazu drängt, ein gewisses Verbot zu begehen, muss er daraus schließen, dass jene Mitzwa oder jenes Verbot entscheidend für sein Leben sind! Somit kann der böse Trieb selbst derjenige sein, der den Menschen auf die Wichtigkeit einer Mitzwa oder eines Verbots aufmerksam macht und ihn dazu bringt, damit besonders achtsam umzugehen.
(Likutej Sichot, Band 3, Seite 747)
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