Schabtaj war vor seiner Fahrt zum Lubawitscher Rebben sehr aufgeregt. Zu Jener Zeit, im Jahr 1973, galt ein Flug nach New York nicht als eine alltägliche Sache. Rabbiner Schabtaj Slawetizki, heutiger Schaliach (des Lubawitscher Rebben Gesandter) in Antwerpen, Belgien, beendete damals sein dreijähriges Jeschiwastudium in Kfar-Chabad, und hatte vor ein weiteres Studienjahr in „770“, dem Lehrhaus des Rebben, zu absolvieren. Schabtaj erzählte seinen Freunden und Nachbarn über den bevorstehenden Flug und schlug ihnen vor, einen Brief mit Bitten an den Rebben mit ihm mitzuschicken. Es kamen tatsächlich viele Bekannte, welche ihm Briefumschläge für den Rebben übergaben. Am Abend vor seinem Abflug klopfte es plötzlich an der Tür der Slawetiztki-Familie. Dort stand ein Nachbar namens Ephraim Golan. Er erzählte, dass er in der letzten Zeit an Schmerzen an der Wirbelsäule litt. Er ließ umfassende Untersuchungen bei Experten durchführen, aber sie sahen keine Lösung für sein Problem.

„Ich habe gehört, dass Du zum Lubawitscher Rebben fährst“, sagte Ephraim zu Schabtaj. „Deshalb möchte ich Dich darum bitten, dem Rebben von meinem Problem zu erzählen, damit er für meine Gesundheit bete.“ Schabtaj fragte den Mann nach seinem Namen und dem seiner Mutter, damit der Rebbe für ihn beten könne. „Ephraim ben (Sohn der) Dewora“, sagte ihm Ephraim.

Aufgrund der letzten Reisevorbereitungen schrieb sich Schabtaj den Namen nicht auf, sondern verließ sich auf sein Gedächtnis. Einige Stunden später saß Schabtaj bereits im Flugzeug und gelangte am nächsten Morgen zum Lehrhaus des Rebben. Nun bereitete er sich auf seine Jechidut (privates Gespräch mit dem Rebben) vor. Wie es der Brauch war, schrieb er seine Anliegen und Bitten auf ein Blatt Papier nieder, und dieses würde er dem Rebben bei der Jechidut überreichen. Schabtaj hatte viel zu schreiben, und er achtete darauf, kein einziges Detail auszulassen. Zum Schluss hielt er vier vollgeschriebene Blätter in seiner Hand. Kurz bevor er in den Raum des Rebben trat, erinnerte er sich plötzlich an die Bitte seines Nachbarn, Herr Golan. Da Schabtaj kaum einen freien Platz auf dem Papier finden konnte, fügte er den Namen mit dem Inhalt der Bitte auf der letzten Seite ganz klein hinzu. Er erinnerte sich an den Vornamen des Nachbarn, jedoch den Namen der Mutter hatte er vollkommen vergessen. Er gab den Namen der jüdischen Erzmutter Sara als Namen der Mutter an, wie die jüdischen Gelehrten in solchen Fällen zu tun vorschlagen.

Er trat in den Raum des Rebben und übergab ihm den Brief. Wie üblich las der Rebbe den Brief ungewöhnlich schnell durch, ohne dabei auch nur ein Detail zu übersehen und begann sofort auf alle Fragen nach der Reihe zu antworten. Als der Rebbe auf die letzten Wörter des Briefes, die Bitte von Herrn Golan, Bezug nehmen wollte, hob er auf einmal seine Augen zu Schabataj und fragte: „Ephraim ben…?“ Schabtaj stand verlegen da. Diese Situation war ihm sehr peinlich, denn es war so, als der Rebbe zu ihm sagte: „Deine Sorgen hast Du auf acht Seiten ausgebreitet, ohne ein Detail auszulassen, jedoch an die Sorge Deines Nächsten konntest Du Dich kaum erinnern, und sogar den Namen der Mutter hast Du vergessen!“ Der Rebe fragte ein zweites Mal: „Ephraim ben…?“ – doch Schabtaj erinnerte sich nicht. Schließlich nahm der Rebbe einen Bleistift und fügte am Seitenrand, neben dem Namen des Mannes, die Worte „Dewora-Esther“ hinzu. Schabtaj verließ den Raum erregt und aufgewühlt. Er fühlte, dass der Rebbe ihm eine Lektion über Nächstenliebe erteilt hatte. Gleichzeitig wurde ihm klar, noch mehr als zuvor, dass G-ttes Geist jederzeit auf dem Rebben ruht, wie sonst kannte der Rebbe den Namen der Mutter, mehr als sogar ihre eigene Familie, wie sich herausstellen sollte!?

Bei der ersten Gelegenheit rief Schabtaj Herrn Golan an und erzählte ihm, was bei der Jechidut vorgefallen war. Er erklärte ihm auch, dass der Rebbe beim Grab seines Schwiegervaters, Rabbi Josef Itzchak, für ihn beten würde. Herr Golan war gerührt und erfreut darüber, doch bezüglich des Namens seiner Mutter reagierte er in Verwunderung. „Seltsam“, sagte er, „ich glaube daran, dass der Rebbe ein heiliger Mann ist, aber meine Mutter hat nur einen Namen, nämlich Dewora!“ Schabtaj erklärte Herrn Golan, dass der Rebbe in eigener Handschrift neben seinem Namen den Namen Dewora-Esther dazuschrieb. Es bestand keinerlei Zweifel daran, dass dies der volle Vorname seiner Mutter war. Er bat den Mann darum, der Sache auf den Grund zu gehen. Ephraim war skeptisch. Zu Beginn behauptete er, dass er niemanden fragen könne. Doch er erinnerte sich an eine greise Tante, welche in Russland lebte. Er versprach, Kontakt mit ihr aufzunehmen. „Ich werde Sie anrufen, um die Neuigkeiten zu hören!“ Mit diesen Worten verabschiedete sich Schabtaj von Herrn Golan.

Nach einiger Zeit rief Schabtaj Herrn Golan wieder an. Dieses Mal hörte sich der Mann sehr aufgeregt an. Er erzählte, dass er die Tante nach dem ganzen Namen seiner Mutter fragte, ohne ihr dabei ein Wort über den Vorfall beim Rebben verraten zu haben. Die Tante antwortete, dass ihr Name Dewora lautete. Ephraim versuchte ihr Gedächtnis aufzufrischen und fragte: „Hatte sie vielleicht noch einen Namen?“ Da erinnerte sich die Tante auf einmal: „Natürlich. Bei ihrer Geburt haben unsere Eltern ihr den Namen „Dewora-Esther“ gegeben, aber als sie heranwuchs, gefiel ihr der Name „Esther“ nicht, und wir haben ihn nicht mehr verwendet. Als sie nach Israel zog, entschloss sie, diesen Namen nicht zu erwähnen. Deshalb steht er in keinem Dokument. So war er vollkommen in Vergessenheit geraten.“ Doch der Rebbe wusste es…