Die dieswöchentliche Sidra Bereschit legt dar, dass die ersten Menschen, Adam und Eva, im Anbeginn keine Kleider benötigten, und dennoch "schämten sie sich nicht" (Genesis 2, 25). Aber nach ihrem Sündenfall, als sie nämlich vom Baum der Erkenntnis gegessen hatten, "wussten sie, dass sie nackt waren" (ibid. 3, 7), und fertigten sich Kleidungsstücke an, um ihre Blöße zu bedecken.

Es ist die Ansicht vieler Wissenschaftler, dass die menschliche Anlage, sich zu bekleiden, auf zwei Ursachen zurückgehe:

  1. Als Schutzmittel gegen klimatische Einflüsse (Hitze, Kälte, Regen usw.), und späterhin auch
  2. auf den Wunsch, sich auszuschmücken.

Bei genauerer Nachprüfung jedoch erscheint diese "wissenschaftliche" Meinung äußerst fragwürdig. Die Wiege des Menschengeschlechtes befand sich doch in einer Gegend, deren Klima so gemäßigt war, dass es der Kleider eigentlich nicht bedurfte; und doch wurden Kleider in jener Frühzeit getragen. Somit kann die Theorie, dass Witterungseinflüsse mitspielten, nicht gültig sein.

Dagegen lehrt die Tora, dass die Bekleidung auf die geänderte Einstellung Adams und Evas zurückzuführen ist, die sich zeigte, nachdem sie von dem oben erwähnten Baum der Erkenntnis gegessen hatten. Eine Erklärung für diese grundsätzliche Einstellungsänderung gibt Maimonides ("Führer der Irrenden", Teil I, Kap. 2). Seine Erklärung – die auch in der "Chabad"-Literatur mehrfach zitiert wird – macht diesen Punkt im Einzelnen klar. Kurz umrissen, ist sie die folgende:

Der Mensch wurde als ein gutes Wesen geschaffen; er war nur gut, in ihm war nichts Böses. Er hatte weder böse Neigungen noch stand er unter der Versuchung, physischen Genüssen nachzugehen. Folglich waren für ihn alle Organe und Teile seines Körpers gleichwertig; jeder Teil hatte seine Rolle zu spielen, um den G-ttlichen Auftrag des Menschen auf Erden zu erfüllen. In der Reinheit seines Gemütes war ihm das Gefühl der Scham unbekannt. Ein Beispiel: Genauso wie es keinen Grund zum Schämen gäbe, wenn man jemanden die Tora lehrt (eine Betätigung, die mit der geistigen Zeugung eines Kindes verglichen werden kann), so gäbe es an sich auch keinen Grund für ein Schamgefühl bei der körperlichen Zeugung eines Kindes, denn auch hierbei erfüllt der Mensch ein G-ttliches Gebot, nämlich "Seid fruchtbar und vermehrt euch" (Genesis 1, 28). In beiden Fällen kam ein Streben nach physischen Genüssen nicht infrage, denn Adam hatte vor seinem Sündenfall nur einen Beweggrund: den G-ttlichen Willen auszuführen.

Nach der Versündigung – dem Genuss der Frucht vom Baume der Erkenntnis – erwachte im Menschen das Bewusstsein, dass es eine physische Ergötzung gäbe, von der er vorher, als sein geistiges Sein die Alleinherrschaft ausübte, nichts wusste. Er sah, dass es gewisse Teile seines Körpers gab, die unmittelbar mit dem Antrieb zu physischem Genuss verbunden waren. Diese Körperteile unbedeckt zu halten, dies brachte nunmehr in ihm ein Schamgefühl auf, und zwar aus zwei Gründen: erstens weil diese Teile seines Körpers ihn fortan an seinen Sturz erinnerten, an den erniedrigenden Fall des Menschen unter den Einfluss der Wollust, und zweitens weil sie selbst eine ständige Quelle der Versuchung darstellten. Aus diesen Gründen schämte sich der Mensch seiner Nacktheit und trachtete, seinen Körper zu bedecken.

Die Tora hat ewige Gültigkeit. Ihre Gesetze sind in jedem Zeitalter und in allen Lagen bindend. Daher sind auch die Tora-Gesetze, die Sittsamkeit in der Kleidung vorschreiben (und die auf die oben diskutierte Versündigung Adams zurückgeben), wesentlich und gültig – an allen Orten und Plätzen, im Winter wie in Sommer, in der Stadt wie im Ferienaufenthalt.