Rabbi Schimon Bar Jochai (er lebte im 2. Jahrhundert im Heiligen Land) war vielleicht der heiligste Mensch, der je gelebt hat. Er schrieb nicht nur den Sohar und war ein Meister der mündlichen Tora, sondern er konnte auch Wunder vollbringen und war einer der wenigen Juden in der Geschichte, die jeden Augenblick ihrer Zeit mit dem Studium der Tora verbrachten – kein Geplauder, keine Kaffeepause und natürlich kein Urlaub. Nur die Tora.

Darum waren alle überrascht, als er am Tag nach Rosch Haschana (dem jüdischen Neujahrstag) seinen Neffen besuchte und seine Familie daran erinnerte, wie wichtig es ist, den Armen zu helfen.

Obwohl sie kaum Geld hatten und nicht verstanden, warum der Rabbi so eindringlich sprach, hörten sie ihm aufmerksam zu; denn wenn Rabbi Schimon sprach, hörte jeder zu. „Gebt mit offenen Händen“, beschwor sie der Rabbi. „Sorgt euch nicht um morgen. G–tt gibt euch, was ihr braucht. Und vor allem: Schreibt alles auf. Schreibt jeden Pfennig auf, den ihr spendet, und tragt die Liste immer bei euch. Am Ende des Jahres will ich eine große Summe sehen!“

Er nahm ihnen dieses Versprechen ab und ging.

Fast ein Jahr später kam wieder ein seltsamer Besuch: Ein Trupp römischer Soldaten mit dem Befehl, sie festzunehmen. Jemand beschuldigte sie, Seide zu verkaufen, ohne die Steuer an die Regierung abzuführen.

Sie weinten und versicherten ihre Unschuld – vergeblich. Zitternd vor Furcht wurden sie ins Gefängnis gebracht. Dort stellte man sie vor die Wahl, entweder eine enorme Steuer von sechshundert Dinar zu zahlen oder ein noch teureres Seidengewand für den König zu schneidern. Beides war unmöglich.

Als Rabbi Schimon hörte, was geschehen war, eilte er ins Gefängnis und erhielt die Erlaubnis, seine Verwandten zu besuchen.

„Wo ist die Liste der Spenden, die ihr gegeben habt?“, fragte er. „Wie viel habt ihr gegeben?“

„Hier“, antworteten sie, und einer von ihnen zog das kleine Pergament aus der Tasche.

Rabbi Schimon nahm es und sah, dass sie fast sechshundert Dinar gespendet hatten. Es fehlten nur noch sechs Dinar. „Habt ihr Geld dabei?“, fragte er.

Sie fanden sechs Dinar, die sie für Notfälle in ihre Kleider genäht hatten. Schimon nahm das Geld an sich und bestach einen der Beamten. Die Anklage wurde fallen gelassen, und sie waren frei.

Rabbi Schimon erklärte ihnen, was geschehen war. „Am vorigen Rosch Haschana döste ich ein und träumte, die Regierung fordere sechshundert Dinar von euch. Darum ermahnte ich euch, viel zu spenden – um die Forderung zu tilgen.“

„Aber warum hast du uns nichts davon gesagt?“, klagten sie. „Dann hätten wir die Steuer bezahlt und uns viel Leid erspart.“

„Nein“, erwiderte Rabbi Schimon. „In diesem Fall hättet ihr die Mizwa nicht um ihrer selbst willen erfüllt.“

(Aus Midrasch Rabba, Wajikra 34:12)