Am letzten Pessachtag ereignete sich das Wunder der Meeresspaltung. Dem Midrasch zufolge spaltete sich nicht nur das Schilfmeer, als die Kinder Israels das Meer durchquerten, sondern „es spaltete sich alles Wasser auf der Welt.“1
Dies erklärt auch, weshalb die Kinder Israels beim „Lied am Schilfmeer“2 (es wird täglich im Morgengebet gesprochen) sangen: Es hören es die Völker und sie beben, Schrecken und Angst überfällt sie.3 Nur die Ägypter erlebten die Meeresspaltung. Weswegen sollten sich alle anderen Völker fürchten? Da sich aber alles Wasser auf der Welt spaltete und alle Völker dieses Phänomen mitansahen, begannen sie die Ursache dafür zu erforschen und als sie herausfanden, dass die Spaltung des Schilfmeeres für die Kinder Israels die Ursache dafür war, überfiel sie Angst vor dem Volk Israels.
G-ttes Wunder oder Naturwunder?
Die Spaltung allen Wassers auf der Welt zeigt einerseits, wie gewaltig das Wunder am Schilfmeer war, dass es sich auf alles Wasser auswirkte. Doch andererseits war dies nicht mehr ein einzigartiges Wunder zur Rettung des jüdischen Volkes. Überall spaltete sich das Wasser. Dieser Umstand könnte den falschen Eindruck erwecken, dass es sich bei der Spaltung allen Wassers nicht um ein Wunder G-ttes, sondern eher um ein seltenes Phänomen der Natur handelte.
Würde sich nur das Schilfmeer spalten, gäbe es überhaupt keinen Zweifel daran, dass da ein Wunder G-ttes geschah, um am richtigen Ort und zur richtigen Zeit das jüdische Volk zu retten und auch der größte Skeptiker müsste dem zustimmen. Doch da sich auf der ganzen Welt das Wasser spaltete, könnte man dies als etwas Natürliches, obgleich selten in seiner Einzigartigkeit, abschieben, das nichts mit G-tt und dem jüdischen Volk zu tun hat.
Wer sich irren möchte, soll sich irren
Und dennoch wollte G-tt, dass sich das Wunder auf eben diese Weise ereignen sollte, denn G-tt erschuf eine Welt, in der diejenigen, die sich irren wollen, auch irren können.
Dieses Prinzip sehen wir bereits bei der Schöpfungsgeschichte. Als G-tt Mose die Schöpfungsgeschichte diktierte und sie zu den Wörtern Machen wir einen Menschen4 kamen, wunderte sich Mose und fragte: „Herr der Welt, weshalb gibst Du den Ungläubigen ein Argument zu behaupten, dass es mehrere Schöpfer gäbe?“ G-tt erwiderte: „Schreib wie Ich dir diktiert habe und derjenige, der sich irren möchte, soll sich eben irren!“5 Deshalb vollbringt auch G-tt offenkundige Wunder und sogar gewaltige Wunder, wie die Meeresspaltung, auf eine Weise, dass der Skeptiker skeptisch bleiben kann.
Die Erlaubnis zu täuschen
Dies erklärt auch das Gebet des Propheten Elijahu am Berg Karmel.6 Um dem jüdischen Volk zu beweisen, dass G-tt der wahre G-tt ist und nicht der Götze Baal, betete Elijahu zu G-tt um ein Wunder: Möge Feuer vom Himmel fallen und sein Opfer für G-tt verschlingen, damit alle den wahren G-tt erkennen. Elijahu ließ sogar dreimal Wasser auf das Opfer und dem Brennholz schütten, damit es keinen Zweifel an der Wahrhaftigkeit des bevorstehenden Wunders gebe. Und dennoch beendete er sein Gebet mit den Worten: Erhöre mich G-tt, erhöre mich!7 Der Talmud erklärt, wofür genau Elijahu betete: „Damit das Volk nicht sage, das Wunder ist Hexerei!“8 Obwohl Feuer vom Himmel kam und das durchnässte Opfer und Brennholz verschlang, sah Elijahu es für notwendig, dafür zu beten, dass das Volk so ein offenkundiges Wunder nicht als Hexerei abschiebe. Denn so lenkt G-tt die Welt, dass wer sich irren will, sich immer irren kann.
Doch weshalb gibt G-tt die Möglichkeit für den Irrtum? – weil G-tt immer die Möglichkeit der freien Wahl gewähren möchte! G-tt kann Wunder bewirken, die nicht in Frage gestellt werden können, doch dann würde Er den Menschen dazu zwingen an Ihn zu glauben und somit auch Seine Mitzwot zu erfüllen. Der Mensch hätte dann keine echte freie Wahl mehr, sich dagegen zu entscheiden. Deshalb wird der böse Trieb immer den Menschen täuschen können und auch offenkundige Wunder werden daran nichts ändern, damit es weiterhin eine freie Wahl gibt. Doch die freie Wahl ist kein Freibrief, um das Falsche zu tun. Die freie Wahl dient nur dazu, dass der Mensch aus eigenen Kräften und aus Ehrlichkeit das Richtige tut, obwohl er sich anders hätte entscheiden können. G-tt möchte unsere Treue und unsere Aufrichtigkeit und dies ist nur durch die Fähigkeit der freien Wahl möglich.
(Torat Menachem, Band 19, Seite 312)
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