Die Ära, in der sich die Begebenheiten von Purim abspielten, galt als eine der sorglosesten und blühendsten Zeiten in der Geschichte der jüdischen Diaspora. Mordechaj war ein Staatsbeamter und Ester die Gemahlin des Königs Achaschwerosch. In der ganzen Geschichte des jüdischen Volkes war dies das einzige Mal, dass eine Jüdin die Gattin eines Herrschers war, der über die ganze damals zivilisierte Welt regierte. Folglich dürften sich die Juden damals sicher gefühlt haben, wie zu keiner Zeit unseres langen Exils.
Was sich aber in Wirklichkeit abspielte, war das genaue Gegenteil: Gerade in jener Epoche vermeintlicher Sicherheit wurde das Dekret erlassen, alle Juden an einem Tag zu vernichten!
Wie kam es nur dazu?
In der ganzen Geschichte war dies der schlimmste Erlass, der je gegen Juden ergangen ist. Zu anderen Zeiten waren sie über verschiedene Länder verstreut und unterlagen verschiedenen Herrschern. Der Talmud sagte bereits dazu: „Gütig war G-tt mit dem jüdischen Volk, dass Er es unter die Völker verstreute“1, denn wenn die Vernichtung der Juden innerhalb gewisser Staatsgrenzen beschlossen wäre, würde ihnen in anderen Ländern nichts geschehen und auch die verfolgten Juden könnten vielleicht über die Grenzen Zuflucht finden.
Sogar unter Pharaos Herrschaft, unter der alle Juden standen, war die Situation nicht so schlimm, wie in den Begebenheiten zu Purim. Zwar war es völlig aussichtslos aus Ägypten zu entkommen, doch Pharaos Erlass richtete sich nur auf die Männlichen, was schlimm genug war. Doch das Dekret die Juden zu vernichten erfasste alle Juden ohne Ausnahme und besagte, dass sie alle an einem Tag vernichtet werden sollten. Und selbst wenn sie fliehen könnten, gab es nicht einen Ort wohin, da Achaschwerosch uneingeschränkt über die gesamte zivilisierte Welt herrschte.
Wie war es möglich, dass sich die Dinge in einer Epoche scheinbarer Sicherheit so furchtbar zuspitzen konnten?
Krach mit G-tt
Die Antwort darauf gibt der Talmud: „Weil sie sündigten, als sie an den Festlichkeiten des Achaschwerosch teilnahmen.“2 Hieraus geht klar hervor, dass das Schicksal der Juden auf der einen Seite und eine „naturgemäße“ Entwicklung auf der anderen, zwei an sich verschiedene Dinge sind! Das Schicksal der Juden unterliegt nicht den Gesetzmäßigkeiten der Natur. Es hängt allein davon ab, ob sie die Thora und ihre Gebote erfüllen! Laut dem natürlichen Stand der Dinge war es gänzlich ausgeschlossen, dass es zu so einem schrecklichen Erlass kommen könnte. Doch als die Juden an der verbotenen Mahlzeit teilnahmen, die Koschergesetze nicht befolgten und sich unter die Völker mischen wollten, beschworen sie das Vernichtungsdekret herauf.
Richtiger Umgang mit Problemen
Und wie reagierten Mordechaj und Ester? Der natürliche Weg wäre es, bei Achaschwerosch vorstellig diplomatische Bemühungen anzustreben. Doch sie handelten anders. Ester ordnete Mordechaj an, alle Juden zu versammeln, um zu beten und zu fasten. Sie sollten Tschuwa tun.3 Denn sie begriffen sehr wohl, dass das Schicksal des jüdischen Volkes nicht von den irdischen Gesetzmäßigkeiten abhängt, wie bei anderen Völkern, sondern von seiner Treue zu G-tt. Die Juden konnten nur durch ihre eigene Umkehr und Reue gerettet werden. Der vernichtende Erlass war nur ein Symptom für die Ursache des Problems: nämlich die fehlende Bindung zu G-tt. Und erst nachdem diese wieder durch die Tschuwa gestärkt wurde, gingen Mordechaj und Ester den natürlichen Weg.
Diese Geschichte begleitet uns zu jeder Zeit, als Individuum und Volk. Sowohl große Probleme für die Allgemeinheit der Juden, wie auch eine missliche Lage des Einzelnen richten sich nach diesem Prinzip: Sie lassen sich nicht auf natürlichem Weg lösen, sondern vorstellig durch eine verstärkte Bindung zu unserem Vater im Himmel!
(Likutej Sichot, Band 1, Seite 213)
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